Auftragsforschung galore! Über Twitter erreicht mich eine Anfrage von Eiserne Ketten, einem Taktikblog über den FC Union Berlin: Ob ich Daten über die Verwendungshäufigkeiten von „spielbestimmend“ und „das Spiel machen“ hätte. Habe ich natürlich, aber was wollen die Eisernen Ketten genau wissen? Ich vermute mal, ungefähr so etwas wie seinerzeit beim Ballbesitz, etwas diachrones also, und auf Nachfrage zeigen sie sich auch an den Kontexten interessiert. Na also, da kann ich liefern.
Monat: Januar 2017
In Livetickern, so viel ist sicher, geht es sehr expressiv zu. Allein über das zu informieren, was auf dem Platz passiert, ist offenbar nicht genug, um die Leserinnen und Leser massenhaft an die Smartphones und Bildschirme zu locken. Livetickerautoren müssen wohl immer auch die Perspektive der Fans einnehmen und – unparteiisch zwar, aber doch mit Nachdruck – emotionale Involviertheit in das Spielgeschehen zum Ausdruck bringen. Begeisterung zeigen, wenn Begeisterndes passiert, und offensiv maulen, wenn es ausbleibt.
Sprachliche Mittel des Expressiven gibt es viele und es gibt sie auf den verschiedensten sprachlichen Ebenen, von der Morphologie und Lexik über die Sytnax bis hin zur Graphostilistik. In dem Post Wahnsinnsdampfhammer bin ich kürzlich einem Phänomen an der Schwelle von der Lexik zur Morphologie nachgegangen, und die Beobachtung, dass Wahnsinn mehr und mehr zum Affix wird, weite ich hier auf das Lexem Traum aus.
In insgesamt 5190 Livetickern von weltfussball.de aus den Jahren 2006–16 (Bundesliga, DFB-Pokal, Champions League, EM und WM) kommt Traum natürlich als Einzellexem vor, exakt 304 mal, und zwar zumeist als Traum (der Mannschaft und der Fans) vom Finale, vom Titel, von Europa, von Berlin usw., der sich manchmal erfüllt, meistens jedoch platzt oder ausgeträumt ist.
Ich nutze die fußballfreie Zeit und komplettiere meine Elf-des-Tages-Serie mit der noch ausstehenden korpuslinguistischen Berechnung des Portfolios eines perfekten Stürmers (siehe die Einträge zu Torhütern, Verteidigern und Mittelfeldspielern). Inzwischen liegen mir 1133 Elf-des-Tages-Texte von 67 Spieltagen von sportschau.de und goal.com vor, davon 259 Texte über Angreifer. Von diesen Angreifer-Lobeshymnen ermittelt der Computer die Worthäufigkeiten, vergleicht die Frequenzliste mit dem des gesamten Korpus und zeigt mir alle Wörter an, die in Angreifer-Texten signifikant häufiger und mithin typisch sind.
Solche Keywordlisten sind gewissermaßen ein Kondensat der Erwartungshaltungen, die Journalisten an das Spiel von Stürmern herantragen. Ich rühre aus dem Kondensat wieder eine Suppe an und verfasse hier eine besonders typische Stürmer-Lobeshymne. Um also in der Elf des Tages zu landen, muss ein Angreifer nur das hier tun (alle signifikanten Keywords sind fett markiert, das statistische Maß war Log Likelihood Ration, p < 0,05):
ein Doppelpack erzielen, am besten sogar drei Tore schießen | ein ständiger Unruheherd sein, stets Torgefahr ausstrahlen und seine Chancen eiskalt verwandeln | den Gegner quasi im Alleingang erledigen | das stehen, wo ein Torjäger stehen muss | mit dem Gegner leichtes Spiel haben | mit vielen Treffern sein Konto in die Höhe schrauben | damit den Weg in die Champions League ebnen
Der typische Angreifer-Phraseologismus (und damit das Pendant zum Turm in der Schlacht bzw. zum Dreh- und Angelpunkt) ist der ständige Unruheherd, der sich eben idealerweise im gegnerischen Strafraum befindet. Aber der perfekte Stürmer ist zu erstaunlichen Temperaturstürzen fähig, denn wenn er einmal den Ball auf dem Fuß hat, möge er bitte eiskalt sein.
Interessant ist neben dem Adverb quasi, mit dem die dem Teamgedanken allzu sehr entgegenstehende PP im Alleingang abgeschwächt wird, auch das Pronominaladverb damit (mit der Betonung auf da, nicht auf mit) in seiner anaphorischen Funktion, das typischerweise die Formulierung von Folgen des zuvor Genannten einleitet. Wenn es darum geht, die Folgen eines Spiels einem bestimmten Spieler anzurechnen, dann kommen dafür offenkundig vor allem toreschießende Stürmer in Frage.
Um die Torjägerkrone streiten sich mit jeweils 25 Nominierungen übrigens erwartungsgemäß Robert Lewandowski und Pierre-Emerick Aubameyang.