Eine schöne Textsorte der Fußballberichterstattung ist die Elf des Spieltages. Nach jedem Spieltag wird z.B. von von sportschau.de oder von goal.com ein Allstar-Team gekürt und jeder Spieler in einer kurzen Laudatio gerühmt. Praktischerweise sind diese Lobeshymnen nach Positionen sortiert und entsprechend gekennzeichnet, so dass diese Positionen in korpuslinguistischen Analysen als Metadaten in Form von xml-Attributen dienen können.
Seit ein paar Monaten sammle ich also Elf des Spieltages-Texte aus diesen beiden Quellen – 1056 Lobeshymnen aus 95 Spieltagen, insgesamt 48.000 Tokens. Mit statistischen Keyword-Analysen kann ich jetzt ausrechnen, welche Wörter etwa für Torwart-Texte typisch sind. Und da in diesen Texten erläutert wird, warum gerade dieser oder jene Spieler so herausragendes geleistet hat, dass er in die Elf des Spieltags aufgenommen wird, kann man aus diesen Wörtern Rückschlüsse auf die Erwartungen ziehen, die Journalisten typischerweise an das Spiel auf den jeweiligen Positionen herantragen. Eine halbautomatisierte Erwartungshaltungsanalyse also.
Die Berechnung funktioniert so: Für jede Position werden Frequenzlisten der in den Texten vorkommenden Wörter erstellt und mit der Frequenzliste des Gesamtkorpus verglichen. Wenn nun ein Wort etwa in den Torwart-Texten signifikant häufiger vorkommt, als es ausgehend vom Gesamtkorpus erwartbar wäre, wird es als Keyword ausgezeichnet. Die kostenlose Software AntConc erledigt das automatisch und zeigt bei Bedarf auch die Kontexte an, so dass typische Phrasen ermittelt werden können.
Wie schon in meinem Artikel Phrasendicksaft kann man jetzt versuchen, diese Liste mit typischen Phrasen als Gerüst für eine typische Torwartlaudatio zu verwenden. Das Ergebnis ist die sprachlich geronnene Blaupause des perfekten Torwartspiels. Wenn also ein Torwart in der Elf des Spieltages landen will, dann muss er einfach nur das hier tun (alle statistisch signifikanten Ausdrücke sind fett markiert; das statistische Maß war Log Likelihood Ratio, p < 0,01):
Mit starken Paraden und Reflexen sein Team im Spiel halten und vor dem Rückstand bewahren | den Kasten sauber halten | mehrfach glänzend parieren | ein sicherer Rückhalt sein | in Eins-zu-Eins-Situationen den Gegner zur Verzweiflung bringen | Ruhe und Souveränität ausstrahlen | Glanztaten vollbringen, so dass sich die Vorderleute bei ihm bedanken können | den Punkt festhalten | Torschüsse entschärfen und Chancen vereiteln | ohne Gegentreffer bleiben oder aber beim selbigen machtlos sein
Der Torhüter, der am häufigsten diesem Ideal entsprochen hat, war übrigens nicht Manuel Neuer, sondern René Adler, der es dreizehn mal in die Elf des Spieltages geschafft hat. Ein typisches Phänomen bei misserfolgsgeplagten Mannschaften, dass der Torhüter bester Mann ist…
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