Reportagestruktur der ARD-Bundesligakonferenz

Ein Gastbeitrag von Leonard Brandbeck

Samstagnachmittags um 15.30 Uhr das Radio einzuschalten, das gehört für viele Fußballfans in Deutschland immer noch zum Pflichtprogramm. Nach wie vor lauschen mehr als acht Millionen Menschen den um diese Zeit übertragenen Partien der (Herren-)Bundesliga; kaum ein anderes Hörfunkformat kann sich mit der Popularität der ARD-Bundesligakonferenz messen: Die dramatische Sprechmelodie der Reporter*innen sowie die ikonischen Torschreie sind unverkennbar, emotionale und dramatische Reportagen wie die vom Abstiegskampf am letzten Spieltag der Saison 1998/1999 („Ich pack das nicht! Ich halt das nicht mehr aus! Ich will das nicht mehr sehen!“) haben sich in das kollektive Gedächtnis der Fangemeinde eingebrannt, und langjährige Reporter*innen wie Manfred Breuckmann, Günther Koch oder Sabine Töpperwien sind längst selbst zu Legenden geworden – die ARD-Bundesligakonferenz gilt als eine „Institution“ der deutschen Sportberichterstattung.

Die Popularität der Hörfunk-Fußballreportage bzw. der ARD-Bundesligakonferenz speist sich vermutlich in besonderem Maße auch noch aus einer Zeit, in der es für Fans außerhalb des Stadions keine andere Möglichkeit gab, Fußballspiele live zu verfolgen. Die Fans waren somit angewiesen auf die Liveschilderungen der Reporter*innen vor Ort, die für das Publikum den einzigen Zugang zu den ausgetragenen Partien boten. „Im Radio ersetzt man dem Hörer die Augen“, so hat es der Konferenzreporter Alexander Bleick einmal formuliert.

Wer der ARD-Bundesligakonferenz schon einmal gelauscht hat, wird jedoch wissen, dass das Selbstverständnis der Reporter*innen weit über die nüchterne Beschreibung des Geschehens auf dem Spielfeld hinausgeht: Ihre Bemühungen sind auch davon gekennzeichnet, die Ereignisse einzuordnen, bereits vergangenes Geschehen nachzuerzählen, Hintergründe zu schildern, Bewertungen vorzunehmen, Zusatzinformationen zu liefern, Prognosen abzugeben oder den Verlauf der Reportage zu moderieren – so weit, dass es hin und wieder auch die Klage zu vernehmen gibt, die Reporter*innen würden sich für das laufende Spielgeschehen doch eigentlich gar nicht mehr interessieren (der Kabarettist Urban Priol hat das, auch aufs Fernsehen bezogen, einmal ganz launig dargestellt).

Radioreportagen aus linguistischer Sicht

Für Aufklärung kann hier die Linguistik sorgen, indem sie die Reportagestruktur der ARD-Bundesligakonferenz einer näheren Analyse unterzieht. Dazu wird das Untersuchungsmaterial – in diesem Fall handelt es sich um fünf jeweils etwa halbstündige Mitschnitte von Schlusskonferenzen der Bundesliga-Saison 2017/2018 – vollständig transkribiert und der dann vorliegende Reportagetext in einzelne Sequenzen mit den typischen Berichterstattungselementen zergliedert. Im Unterschied zur Publizistik bzw. Kommunikationswissenschaft werden dabei jedoch nicht nur inhaltliche Kriterien, sondern insbesondere eben auch sprachliche Merkmale berücksichtigt.

Diese sprachlichen Merkmale dienen besonders der Abgrenzung der Liveschilderung des Spielgeschehens von den weiterführenden, vertiefenden Elementen der Berichterstattung: Der typische Spannungsaufbau der Reporter*innen bei der Torannäherung eines Teams spiegelt sich so etwa im gleichmäßigen Anstieg ihrer Sprechgeschwindigkeit und ihrer Tonhöhe wider. Zugleich wird die Neigung der Reporter*innen zur sprachlichen Verkürzung und simplen Aneinanderreihung ihre Satzkonstruktionen hier besonders deutlich – das ist nötig, um verbal auf Ballhöhe bleiben zu können, etwa so:

[…] Und der Konter läuft: Durch die Mitte, durch den eingewechselten Kainz, jetzt sind sie mit Überzahl sogar unterwegs, mit fünf gegen drei, der Ball müsste rausgespielt werden auf Gondorf, auf die rechte Seite – ein bisschen zu schlampig, trotzdem bleibt Gondorf am Ball, dreht sich, dann der Ball in die Mitte … Und Dortmund geht mit Dahoud dazwischen […]

12. September 2017, Dortmund – Bremen

Dass sich das Geschehen im Moment der Schilderung (bzw. unmittelbar davor) ereignet, wird dem Publikum wiederum durch die Verwendung des Präsens vermittelt. Wichtig für das Publikum ist zudem, dass die Reporter*innen das Spielgeschehen ständig verorten („durch die Mitte“, „auf die rechte Seite“, „der Ball in die Mitte“) und die Beteiligten nennen („durch den eingewechselten Kainz“, „auf Gondorf“, „Gondorf am Ball“, „geht mit Dahoud dazwischen“).

In den Teilen der Reportage, die sich nicht auf die Vermittlung des laufenden Spielgeschehens beschränken, geht es sprachlich hingegen durchaus variabler zu. Sprechmelodie und -geschwindigkeit schwanken deutlich, Satzkonstruktionen werden komplexer, Tempus und Modus wechseln häufiger. Bezieht man zusätzlich jedoch kommunikative Merkmale mit ein (etwa die Themenentfaltung oder interaktionale Funktionen), so finden sich auch hier Merkmale zur Unterscheidung weiterer typischer Elemente der Berichterstattung.

Worüber wird geredet? Eine Taxonomie der Berichterstattungselemente

Wie auch bei inhaltlichen Analysen stellt sich dabei immer die Frage, wie sehr man bei einer solchen Typenerschließung ins Detail gehen mag; mit guten linguistischen Gründen lassen sich so aber die folgenden sieben grundlegenden Berichterstattungselemente annehmen: Die Liveschilderung, die Nacherzählung, die Spielinformation, die Hintergrundinformation, die Einschätzung, die Moderation sowie der Zwischenruf; wobei sich Liveschilderung und Nacherzählung noch einmal in Sequenzen mit Bezug auf das tatsächliche Spielgeschehen sowie das Geschehen rund um das Spiel bzw. das Setting aufsplitten lassen.

Unterteilt man den gesamten Reportagetext der ARD-Bundesligakonferenz also nun in einzelne Abschnitte, die sich den genannten Kategorien zuordnen lassen, dann erhält man einen Überblick darüber, welchen Anteil die Berichterstattungselemente insgesamt an der Konferenz haben:

Die Grafik zeigt, dass die Liveschilderung der Ereignisse tatsächlich nur etwa ein Viertel der Dauer der ARD-Bundesligakonferenz einnimmt; die interpretative Einschätzung des Geschehens durch die Reporter*innen in Form von Wertungen, Resümees oder Ausdeutungen sowie die nüchterne Vermittlung von Spielinformationen wie Spielstand, Restspielzeit oder Torschützen spielen im Rahmen der Konferenz eine ähnlich große Rolle.

Sind die Reporter*innen also tatsächlich nicht interessiert genug am Geschehen auf dem Spielfeld? Mit dieser Unterstellung macht man es sich sicherlich zu einfach; vielmehr muss man die speziellen gattungsspezifischen Bedingungen der ARD-Bundesligakonferenz berücksichtigen. Bei in der Regel fünf parallel übertragenen Spielen im Rahmen der Konferenz liegen zwischen den Beiträgen der einzelnen Reporter*innen immer wieder minutenlange Wartezeiten. Die Reporter*innen müssen deshalb davon ausgehen, dass das Publikum nicht weiß, was in der Zwischenzeit in ihren jeweils übertragenen Partien passiert ist. Damit das Publikum dennoch auf dem Laufenden bleibt und einen Eindruck vom Spielverlauf erhält, wird es also mit jedem neuen Reportagebeitrag nötig, verpasste Ereignisse nachzuerzählen sowie einen gerafften Überblick über bisherige Geschehnisse zu liefern und in ihre Zusammenhänge einzuordnen.

Viel Zeit zur ausgiebigen Liveschilderung des Spielgeschehens bleibt den Reporter*innen da also nicht. Und dann ist es ja auch nur eine Frage der Zeit, bis schon wieder der*die nächste Kolleg*in an der Reihe ist, was den Zeitmangel nur noch vergrößert. Doch dazu mehr demnächst im zweiten Teil…

Leonard Brandbeck hat an der Universität Wien Sprachwissenschaft studiert. Seine Masterarbeit, auf der dieser Artikel basiert, trägt den Titel „Sequenzielle Organisation in Fußball-Konferenzschaltungen des Hörfunks – Reportagestruktur und Turn-Taking in der ARD-Bundesligakonferenz“.