Den Shitstorm, der über Franck Ribéry nach Verzehr des vergoldeten Steaks hereingebrochen ist (im Gegensatz zu Lionel Messi übrigens, der auch eins gegessen hat), hat er mit einer bemerkenswerten „Pöbelattacke“ gekontert – so heißt es in vielen Newsportalen. Ein Totalausfall, ein Ausraster, so formuliert etwa die GQ. Voilà, hier ist der Text (und hier der Link zum Originaltweet):

Ich persönlich finde, dass die Bezeichnungen „Pöbelattacke“, „Totalausfall“ und „Ausraster“ den Text nicht wirklich gut charakterisieren. Das klingt zu sehr nach unkontrolliertem emotionalem Ausbruch, aber dafür ist der Text zu gut komponiert (mal abgesehen davon, dass man möglicherweise aus Wut heraus, aber kaum in Rage ein Sharepic erstellt und auf Twitter publiziert). Der rhetorische Terminus „Invektive“ (Schmährede) trifft da schon besser, ist der Text doch ganz offenbar geplant und auch rhetorisch durchgestaltetet. Von der ganz klassischen Invektive (vgl. hierzu Neumann, U. (1998): „Invektive“. In: G. Ueding (Hg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 4. Tübingen: Niemeyer, 549–561) mag sich Ribérys Tweet zwar dadurch unterscheiden, dass sich die Schmähung hier nicht gegen eine konkrete Person richtet, sondern vielmehr an die diffuse Menge, die den Shitstorm kollaborativ hervorgebracht hat. Aber nicht zuletzt die sorgsam bediente „Schmähtopik“ und die wortspielerische Kreativität der Beschimpfungen ordnen den Tweet in die Tradition der Schmähreden ein.

Ribérys Rhetorik

Nehmen wir nur mal die hübsche dreischrittige Klimax „n*quez vos mères, vos grands-mères et même votre arbre généalogique“ (‚fickt eure Mütter, eure Großmütter und gleich auch euren ganzen Stammbaum‘), die mir gerade in der auch wörtlich zu nehmenden Bildlichkeit des letzten Schrittes sehr gelungen scheint.

Vor allem aber der Schluss ist interessant, der da heißt „vous n’étiez que des cailloux dans mes chaussettes…“ und der von den deutschen Medien meist etwas unbeholfen mit ihr wart nur Kieselsteine in meinen Socken“ übersetzt wurde. Das ist Wort für Wort betrachtet korrekt, aber es verkennt, dass Ribéry hier eine idiomatisch fixierte Wendung „caillou dans la chaussure“ (wörtlich ‚Kieselstein im Schuh‘) modifizierend, also an die Textumgebung anpassend aufgreift. Der sprichwörtliche Stein im Schuh, der sich sprachgeschichtlich weit zurückverfolgen lässt, kann im französischen z. B. auch für Gesetzeslagen verwendet werden, die Reformpläne verhindern, kann also Dinge bezeichnen, die stören und behindern und mithin lästig sind. Er kann aber, so kann man es etwa in dieser Forumsdiskussion nachlesen, auch so viel wie „pain in the ass“ (frei übersetzt ‚Nervensäge‘) heißen.

Und wenn nun Ribéry im Reden über seine Fußballkarriere statt chaussure (Schuh) chaussette (Socken) schreibt, nimmt er eine hübsche Anpassung an das im Hintergrund aktualisierte Thema Fußball vor (chaussette du foot sind die Fußballstutzen). Heraus kommt eine Formulierung, die geradezu sinnlich anschaulich ist, deren Kunstfertigkeit (man achte auch auf die Modifizierung mit ne que ’nur‘, die die Beleidigung empfindlich zuspitzt) aber kaum erkennbar ist, wenn man sie wörtlich übersetzt.

In der kontrastiven Phraseologie ist ausführlich diskutiert worden, welche Schwierigkeiten sich bei der Übersetzung von idiomatischen Wendungen ergeben, für die es keine direkten Äquivalente in der Zielsprache gibt. Übersetzt man wörtlich, geht die Idiomatik verloren, die für alle Muttersprachler*innen unmittelbar verständliche Tatsache, dass es sich um eine reproduzierte Einheit handelt, deren Teilbedeutungen (Stein und Socken) im hier diskutierten Fall nur spielerisch re-motiviert werden. Versucht man, eine phraseologische Entsprechung zu finden (Kandidaten wären etwa Haar in der Suppe, Wermutstropfen oder Stachel im Fleisch), geht die von Ribéry so schön hergestellte Nähe zum Thema Fußball verloren.

Und überhaupt die Übersetzungen: Kaum ein deutscher Artikel zum Thema erwähnt die Vorrede der Invektive: „remettons les points sur les i et les barres sur les t“. Wörtlich wäre es zu übersetzen mit „Lasst uns die Punkte wieder auf die i’s und die Balken auf die t’s setzen“. Dass das nicht richtig sein kann, haben wohl alle Journalisten gemerkt. Also haben sie es ganz weggelassen, anstatt zumindest ein Pendant wie „Um mal einige Dinge klarzustellen“ oder „Jetzt mal Tacheles“ zu verwenden.

Eine vollendete Invektive

„Pöbelattacke“ – mit einem kurzen Blick ins Original und auf die (bei aller Obszönität und Grobheit) sprachlichen Feinheiten erweist sich der Tweet viel eher als eine vollendete Invektive im Social Media Format. Ganz offenbar sieht Ribéry die Kritik an seinem Steakverzehr als ehrverletzend an, und er wählt die Replik als Modus, um eben diese Ehre wieder herzustellen (vgl. hierzu etwa Bourdieus (1976) Studie über Ehre und Ehrgefühl). Das mag man albern oder auch unaufgeklärt finden. Aber zumindest kann man anerkennen, dass er – wie man es im Battle Rap, der auch eine Form invektiver Rhetorik ist, sagen würde – Skills hat. Mehr Skills jedenfalls als die meisten deutschen Journalist*innen, die darüber berichten.