Über Scheißfragen

Ein Gastbeitrag von Antje Wilton

Neulich war es mal wieder soweit: ein Fußballer rastet beim Interview aus. Jonas Hector war nach der Niederlage des 1. FC Köln gegen Holstein Kiel in der Relegation sichtlich ungehalten. Das Ereignis belustigte – wie immer in einem solchen Fall – die Kommentator:innen in den sozialen und anderen Medien. Immerhin war der Vorfall einen Beitrag in der ZEIT wert. Dort war dann zu lesen, dass diese Fragen platt, dumm, oder gar – um Jonas Hector selbst zu zitieren – „Scheißfragen“ seien, auf die eine Standardantwort zu geben dieser eben diesmal keine Lust hatte.

Was genau macht aber diese Fragen so problematisch? Das habe ich mir in einer kleinen Studie angeschaut, in der ich jeweils 100 Fragen aus deutsch- und englischsprachigen Fußballinterviews direkt nach dem Spiel (post-match interviews) analysiert habe. Der Fragetyp, um den es hier geht, beginnt in den meisten Fällen mit Wie sehr…? oder auch Wie viel…? Ich nenne ihn degree question, denn mit einer solchen Frage fragt man nicht, ob etwas zutrifft oder nicht, sondern in welchem Maße etwas zutrifft. Dass etwas Bestimmtes zutrifft, setzt man mit dieser Frage also schon voraus. Frage ich also Wie leer fühlen sie sich?, so unterstelle ich, dass sich der Angesprochene leer fühlt. Ich will dann nur noch wissen, wie leer – möchte also im Idealfall nicht nur eine bestätigende Antwort, sondern auch eine amplifizierte, also verstärkte, Demonstration dieser Leere.

Diese Fragetaktik ist potenziell problematisch, und das kann man an manchen Spielerantworten ablesen. In Interviews, und generell in Frage-Antwort-Situationen, geht es um das Ausloten von Wissensbeständen. Dabei gelten einige ungeschriebene Regeln, die, ähnlich der Grice’schen Konversationsmaxime, nur dann sichtbar werden, wenn sie – bewusst oder unbewusst – nicht eingehalten werden. Eine dieser ungeschriebenen Regeln beim Fragen ist beispielsweise, dass man nicht nach etwas fragt, das schon bekannt ist. Dies ist in einem Spielerinterview eine Herausforderung: Thema des Interviews ist das soeben beendete Spiel, das ja alle unmittelbar Beteiligten – also Journalist, Spieler und das Medienpublikum – gerade erlebt haben. Und nicht nur das: schon während des laufenden Spiels werden in der Liveberichterstattung Daten und Statistiken geliefert und das Geschehen wird mehrfach kommentiert und analysiert (TV, Radio, Liveticker). Da gibt es kaum eine Information, die ein Spieler noch als genuin neu beitragen kann. Dem Reporter bleibt also nur ein kleiner Bereich, zu dem er den Spieler plausibel befragen kann, und das ist die persönliche Erfahrung des Spielers. Die persönliche Erfahrung gehört ganz eindeutig zu denjenigen Wissensbereichen, über die jeder verfügt, und zu denen jeder einen unmittelbaren Zugang hat. Für den Fragenden bedeutet dies, dass er auch berechtigterweise eine Auskunft erwarten kann – wenn jemand die Auskunft verweigert, dann nicht, weil er nicht Bescheid weiß über sein persönliches Befinden, sondern weil er es – aus welchen Gründen auch immer – nicht preisgeben möchte.

Suggestiv und eigentlich überflüssig

Eine Frage wie beispielsweise Wie fühlen sie sich? lässt nun offen, welche Befindlichkeiten der Befragte in der Antwort thematisieren möchte. Eine degree question aber unterstellt schon eine bestimmte Befindlichkeit (sich leer fühlen, Spaß gehabt haben, etwas wichtig finden), die es nur noch zu bestätigen gilt. In den weniger brisanten Fällen drücken die Spieler ihren Unmut über eine solche Frage mit einer auch vom ZEIT-Autor als standardisiert erkannten Verwendung des Wortes natürlich aus: sehr wichtig natürlich! Die Verwendung des Wortes natürlich hat hier eine besondere Funktion: es zeigt an, dass die Frage eigentlich gar nicht hätte gestellt werden müssen oder gar sollen, da es klar sein sollte, dass man sich nach einer Niederlage leer fühlt, oder dass ein Sieg sehr wichtig ist. Hier ist es also das als geteilt und daher für alle als verfügbar vorausgesetzte Wissen, das die Frage – und damit auch die Zustimmung des Spielers dazu – eigentlich überflüssig macht.

Im Falle des Interviews mit Hector aber bezieht sich der Unmut des Spielers auf die mit der Frage implizierte Unterstellung einer nicht zutreffenden Gefühlslage: die innere Leere. Derart in die Defensive gedrängt, muss der Befragte eine Menge Verteidigungsarbeit leisten, um zum einen die nicht zutreffende Unterstellung zurückzuweisen, zum anderen aber auch die Verfügungsgewalt über sein persönliches Wissensterritorium wiederzuerlangen, in das der Reporter mit seiner Unterstellung eingedrungen ist. Dem Spieler diese Verteidigungsarbeit aufzuerlegen, gehört nicht zum guten Ton eines Spielerinterviews. Als der Reporter dann aber unglücklicherweise mit einer weiteren degree question nachlegt, verweigert Hector entgültig die Kooperation: er will nicht mehr antworten.

Das „Dumme“ an solchen Fragen in den Spielerinterviews kann man also mit einer detaillierten Analyse noch etwas genauer bestimmen. Und man erkennt die Macht der Frage: scheinbar harmlos, kann sie den Befragten in eine unangenehme Situation bringen. Der Reporter wollte Emotion und hat sie bekommen – allerdings nicht als Frust über eine Niederlage, sondern über sein Frageverhalten.

PS: Ich verwende in diesem Beitrag die maskulinen Formen, da sowohl in meiner Studie als auch im aktuellen Beispiel nur männliche Protagonisten vorkommen.

Literatur

Wilton, Antje (2021): Epistemics in post-match interviews: A focus on questioning turn design. In: International Journal of Applied Linguistics, S. 132–150. DOI: 10.1111/ijal.12326

Dr. Antje Wilton ist Sprachwissenschaftlerin am Seminar für Anglistik der Universität Siegen. Sie forscht zu Gesprächen in privaten, medialen und institutionellen Kontexten, darunter auch zu post-match interviews im Fußball.

6 Kommentare

  1. Jens

    Danke für die schöne Analyse! Standartantwort mit „t“ tat ein bisschen im Auge weh.

    • Simon Meier-Vieracker

      Danke, schon verbessert.

  2. Bobby

    Sehr informativ, vor allem der Teil, dass man bestimmte Fragen so formulieren kann, dass ein Gefühlszustand impliziert und unterstellt wird.

  3. Gerri G. aus G.

    Interessantes Thema. Mich wundert schon lange, dass Fusßballer:innen – und Sportler:innen generell – nicht viel häufiger ausrasten. Die Post-Match-Interviews, wie sie hier so schön akademisch benannt werden, sind für mich vor allem entweder langweilig oder peinlich – und manchmal auch beides. Frühes Abschalten erspart eine Menge Fremdschämen. Leider gehört pointierte Ironie oder kluger Sarkasmus nicht zum Handwerkszeug der meisten Interviewten.

    • Marcus

      Ich denke mal, dass insbesondere nach einer Niederlage, die Konzentration für eine pointierte Ironie oder klugem Sarkasmus nicht unbedingt vorhanden ist.

  4. Emden09

    Danke für diese schöne Analyse. Ein wichtiger Aspekt bleibt – weil nicht linguistischer Natur – leider unerwähnt. Da die Vereine inzwischen am Tropf der Fernsehgelder hängen, können Spieler, wie auch Trainer und andere Vereinsverantwortliche nicht immer so reagieren, wie Hector zu Recht. Stattdessen müssen sich die Vereine Kritik aus den Redaktionen (die immer unter direktem oder indirektem Verweis auf die Fernsehgelder erfolgt) gefallen lassen, wenn mal einer im Interview nicht so spurt, wie die Redaktion es gescriptet hat. Diese Kritik der Redaktionen wird dann (oft in Form interner „Rhetorik-Seminare“) an die Angestellten (Spieler, Trainer, Verantwortliche) weitergegeben. Wichtiges Thema: „wie lasse ich selbst den Fußballerisch unerfahrensten Reporter nicht blöde aussehen, selbst, wenn seine Fragen offenbaren, dass er keine Ahnung hat?“

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