Zum sog. Re-Start der Bundesliga nach der Corona-Pause Mitte Mai 2020 habe ich am Abend nach den Samstagsspielen eine ganz rasche Blitzanalyse der Liveberichterstattung gemacht. Mich hatte interessiert, ob und wie über Geisterspiele anders berichtet wird als gewöhnlich. Inzwischen ist die ganze Geistersaison absolviert. Der FC Bayern ist der erste und vermutlich auch letzte Geistermeister der Geschichte, und ich möchte meine Analyse von damals komplettieren.
Und zwar schaue ich mir die Liveticker und Spielberichte von kicker.de sowie die Liveticker von weltfussball.de der Saison 2019/20 an und bilde jeweils zwei Subkorpora, einmal vor und einmal nach der coronabedingten Unterbrechung. Mit Keywordanalysen schaue ich dann, welche Wörter jeweils signifikant häufiger verwendet wurden als im anderen Teil der Saison.
Rundum erwartbar sind natürlich Wörter, welche sich auf die Unterbrechung und ihre Gründe selbst beziehen: Re-Start, Wiederbeginn, Corona-Pause, Corona-Unterbrechung und Corona-Pandemie. Auch das Wort Geisterspiel ist typisch für den zweiten Teil der Saison, aber mit gerade einmal 7 Treffern wird es erstaunlich selten verwendet, und auch Bezugnahmen auf leere Stadien oder Ränge sind Versuchungen, denen die Autor*innen nur selten erlegen sind.
Interessant sind aber die eher impliziten Thematisierungen. So wird die Präposition seit nach dem Re-Start knapp doppelt so häufig verwendet wie davor. Die Corona-Pause stellt eine so deutliche Zäsur dar, dass sie gleichsam eine neue Zeitrechnung etabliert. Statistiken wie „der dritte Sieg seit der Corona-Pause“ oder „warten seit dem Re-Start auf den ersten Dreier“ werden vor allem in den Livetickern regelmäßig berichtet. Natürlich sind solche Statistiken nicht als solche neu, aber die Corona-Pause war eben so einschneidend, dass die Gegenwart regelmäßig auf sie zurückbezogen wird.
Fußball ohne Fans
Aufschlussreich sind aber auch die negativen Keywords, also Wörter, die seit dem Re-Start deutlich seltener verwendet werden. Sie sind vor allem einem semantischen Feld zuzurechnen, dem der (nunmehr abwesenden) Fans. Neben koreferenten Ausdrücken wie Anhänger oder auch Publikum sind es auch fantypische Praktiken wie Applaus, Jubel, Choreographie und auch das kritische Pfeifen, die nun naturgemäß seltener erwähnt werden, ebenso die theatermetaphorisch interessante Kulisse, welche volle Ränge bieten. Das aber reicht für die Fußballberichterstattung wesentlich tiefer als nur zu der simplen Tatsache, dass die Fans jetzt eben nicht da sind. Denn die Fans und ihre Äußerungsformen werden von den Journalist*innen gerne als stellvertretende Bewertungsinstanzen ins Feld geführt (Meier 2019, S. 18), etwa wenn es heißt: „Baku schenkt einen Konter durch ein ungenaues Anspiel im Ansatz her und erntet damit laute Pfiffe der Heimfans“ oder „Timo Horn pflückt eine scharfe Freistoß-Flanke von Kai Pröger herunter und bekommt dafür Szenen-Applaus.“ Die Journalist*innen müssen selbst objektiv berichten, können aber, indem sie die Bewertungen der rundum parteiischen Fans berichten, auf indirektem Wege eben doch Wertungen vornehmen.
Wo bleiben die Emotionen?
Und von hier aus lässt sich vielleicht noch weiterdenken. Denn wie neuere emotionssoziologische Studien zum Thema Fußball argumentieren (Thonhauser/Wetzels 2019), sind kollektive Emotionen von relationaler und kommuikativer Natur, indem sie weniger in Körpern oder als Ausdruck von Körpern als in der Kommunikation zwischen Körpern zu sehen sind. Indem die Fans als Kollektive ins Spielgeschehen involviert sind, sich von diesem affizieren lassen und etwa gemeinsam jubeln, entsteht überhaupt erst jene Emotionalität des Fußballs, von dem auch die Fußballberichterstattung so profitiert.
Vor diesem Hintergrund lässt sich vielleicht der Befund deuten, dass das Wort Selbstvertrauen seit dem Re-Start seltener verwendet wird. Typischerweise heißt es etwa, dass ein Team durch ein Tor spürbar Selbstvertrauen getankt hat. Wenn solche Beschreibungen seltener werden, heißt das eher nicht, dass Mannschaften in Geisterspielen weniger Selbstvertrauen haben. Sie zeigen es vielleicht weniger. Vor allem aber scheint es so, dass der ausbleibende unmittelbare Support der Fans lässt solche emotionsbasierten Beschreibungsressourcen in den Hintergrund rücken lässt. Denn interessanterweise sind auch hochgradig wertende Adjektive wie fulminant und furios in den Livetickern der Geisterspiele seltener. Mal ganz abgesehen von der Qualität der Spiele selbst fällt es bei abwesenden Fans offenbar auch den Journalist*innen schwerer, sich vom Spiel begeistern zu lassen.
Schluss mit den Diskussionen
Und noch ein letzter Befund. Deutlich seltener wird das Wort Diskussion verwendet, das in dem meisten Fällen auf die Beschwerden der Spieler bei den Schiedsrichtern verweist. Wenn keine Zuschauer da sind, ist das Bedürfnis, Schiedsrichterentscheidungen in Zweifel zu ziehen, offenbar geringer. Collinas Erben, was sagt Ihr dazu?
Literatur
Meier, Simon (2019): Einzelkritiken in der Fußballberichterstattung. Evaluativer Sprachgebrauch aus korpuspragmatischer Sicht. In: Muttersprache 129, S. 1–23.
Thonhauser, Gerhard/Wetzels, Michael (2019): Emotional sharing in football audiences. In: Journal of the Philosophy of Sport 46 (2), S. 224–243.
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