Turn-Taking in der ARD-Bundesligakonferenz

Ein Gastbeitrag von Leonard Brandbeck

Dass die nach wie vor so populäre ARD-Bundesligakonferenz unter Fußballfans als eine „Institution“ der deutschen Sportberichterstattung angesehen wird, ist bereits im ersten Teil über die Struktur der einzelnen Berichterstattungselemente angeklungen. Umso erstaunlicher ist es, dass sich die (Fußball-)Linguistik bislang kaum mit ihr auseinandergesetzt hat. Bisherige Untersuchungen stammen eher aus der Publizistik bzw. Kommunikationswissenschaft, die Linguistik hat sich bisher meist auf die Beschäftigung mit Voll- oder Teilreportagen einzelner Spiele beschränkt.

Dabei verfügt die Konferenzschaltung über eine große Besonderheit: Im Gegensatz zu den meist durchgehend monologisch kommentierten Einzelspielen lässt sich die Konferenz nämlich im weitesten Sinne als ein Gespräch zwischen den unterschiedlichen Reporter*innen fassen, die reihum von den verschiedenen, parallel stattfindenden Partien berichten. Da Gespräche immer bestimmten Regeln folgen, schließt sich daran die Frage an, welche Regeln denn dann für die ARD-Bundesligakonferenz gelten: Wer darf wann sprechen, und wie lange? Wann darf man sich gegenseitig unterbrechen? Und wie gibt man das Rederecht weiter?

Gesprächsanalyse – fußballlinguistisch

Einige dieser Fragen sind explizit durch die Senderegie geregelt, für andere wiederum haben sich offensichtlich im Laufe der Jahre eigene Konventionen entwickelt. Das lässt sich zumindest anhand der fünf bereits im ersten Beitrag herangezogenen, jeweils etwa halbstündigen Mitschnitte der Schlusskonferenz aus der Saison 2017/2018 nachvollziehen, wenn man sie vollständig transkribiert und hinterher linguistisch auswertet.

Vorgegeben durch die Regie ist etwa die Reihenfolge, in der die Reporter*innen sich das Rederecht übertragen: Begonnen wird mit der Partie des Teams, das vor dem Spieltag am weitesten oben in der Tabelle steht, dann wird der Reihe nach nach unten weitergegeben. Bevorzugt wird dabei kaum eine Partie, denn es existiert eine vorgegebene Richtzeit von etwa 60 Sekunden pro einzelnem Reportagebeitrag, an die sich die Reporter*innen auch weitgehend halten.

Abweichungen von der Reihenfolge und der Richtzeit ergeben sich jedoch zwangsläufig, wenn sich die Reporter*innen gegenseitig durch einen Zwischenruf unterbrechen. Auch für diese Zwischenrufe existieren bestimmte Regeln: Bei einem Tor, einem Platzverweis oder einem Elfmeter sind die Reporter*innen dazu verpflichtet, sich sofort zu Wort zu melden und die Kolleg*innen zu unterbrechen; in Einzelfällen ist jedoch auch das abrupte Einschalten bei der Anbahnung einer guten Torchance legitim. Nach einer Unterbrechung sind die Reporter*innen jedoch dazu angehalten, die vorgesehene Reihenfolge durch eine schnelle Rückgabe zur vorherigen Partie möglichst zügig wiederherzustellen.

Das Untersuchungsmaterial zeigt, dass die Reporter*innen der ARD-Bundesligakonferenz dabei grundsätzlich darum bemüht sind, die Übergänge zwischen den einzelnen Konferenzstationen möglichst fließend zu gestalten. Das tun sie, indem sie Bezüge zwischen ihren eigenen Spielen und den jeweils nächsten Konferenzstationen herstellen, an die die folgenden Reporter*innen anknüpfen können. Hierzu nutzen sie feste, immer wiederkehrende sprachliche Strategien und Elemente.

Die in etwa einem Drittel aller Übergänge herangezogene und damit meistgenutzte Strategie besteht darin, das Rederecht sprachlich explizit zu übertragen, etwa wie folgt:

Und wir gehen dahin, wo es 3:0 steht, nämlich nach München, zu Andre Siems.

18. November 2017, Wolfsburg – Freiburg

Sehr viel fließender gestaltet sich der Übergang jedoch, wenn er implizit, also quasi unausgesprochen vollzogen wird, indem die Reporter*innen zwar inhaltlich Bezug auf die nächste Partie nehmen, die Übertragung des Rederechts jedoch nicht explizit versprachlichen. Das ist, wie auch im folgenden Beispiel, bei etwa einem Viertel aller Übergänge der Fall:

Also, hier ist es spannend. Spannend jetzt auch, trotz des Treffers: Frankfurt – Leverkusen, Philipp Hofmeister.

25. November 2017, Leipzig – Bremen

In diesem Fall vollzieht sich der Übergang sogar besonders fließend, da der betreffende Reporter einen inhaltlichen Aspekt seiner eigenen Partie („Also, hier ist es spannend“) auf die folgende Partie überträgt („Spannend jetzt auch“). Dass die Reporter*innen die Übergabe des Rederechts mit ihren vorherigen Ausführungen zur eigenen Partie verknüpfen, lässt sich für etwa die Hälfte aller Übergänge feststellen.

Die dritte beliebte Strategie der Reporter*innen bei der Übertragung des Rederechts – ebenso in etwa einem Viertel aller Fälle beobachtbar – besteht darin, dem*der folgenden Reporter*in eine Frage zu stellen, etwa so:

Wie hat denn der Tabellenzweite, wie hat RB Leipzig das Champions-League-Aus verkraftet? Die spielen ja heute gegen Mainz, Philipp Weiskirch.

9. Dezember 2017, Frankfurt – München

Die Frageform überträgt das Rederecht nicht nur formal an den*die Reporter*in der folgenden Station, sondern nimmt gleichzeitig auch inhaltlichen Bezug auf die zugehörige Partie; sie verbindet also gewissermaßen die beiden vorher genannten Strategien zur Übertragung des Rederechts.

Zugleich besitzt die Frage hinsichtlich eines möglichst fließenden Übergangs den Vorteil, dass es dem*der Reporter*in der folgenden Partie leichtgemacht wird, an den*die Vorgänger*in anzuknüpfen. Das ist durch eine einfache Antwort auf die gestellte Frage schnell getan und geschieht auch im genannten Beispiel:

Wie hat denn der Tabellenzweite, wie hat RB Leipzig das Champions-League-Aus verkraftet? Die spielen ja heute gegen Mainz, Philipp Weiskirch.

Vom Ergebnis her ganz gut: 2:1 für RBL, aber Mainz stärker geworden in den letzten zehn Minuten

09. Dezember 2017, Leipzig – Mainz

So zeigt sich im Untersuchungsmaterial auch, dass Übergänge mithilfe von Fragen den*die folgende*n Reporter*in in etwa 90 Prozent der Fälle und damit am häufigsten zu einer direkten Bezugnahme auf den*die Vorgänger*in ermuntern (siehe Grafik unten). Implizite Übergaben vermögen das in drei viertel der betreffenden Übergänge, wohingegen explizite Übergänge kaum Anknüpfungspunkte für den*die Reporter*in der folgenden Station liefern und somit auch nur in weniger als der Hälfte aller Fälle aufgegriffen werden.

Auffällig erscheint zuletzt noch, dass die Reporter*innen zur Übertragung des Rederechts immer wiederkehrend die gleichen lexikalischen Elemente verwenden, um auf die nächste Station Bezug zu nehmen: Als wichtigster Marker fungiert dabei der Name des*der Reporter*in der folgenden Station (in den genannten Beispielen also „Andre Siems“, „Philipp Hofmeister“ und „Philipp Weiskirch“), er wird in 95 Prozent der Übergänge genannt. Zusätzlich werden meist der Spielort („München“; 55 Prozent), die Partie („Frankfurt – Leverkusen“; 34 Prozent) oder die einzelnen beteiligten Teams („RB Leipzig […] Mainz“; 22 Prozent) erwähnt.

Wenn die ARD-Bundesligakonferenz also als eine „Institution“ bezeichnet wird, dann lässt sich das nicht nur auf ihren Kultstatus unter Fußballfans übertragen, sondern auch auf ihr stark durch stabile Konventionen und regelhafte Muster geprägtes Innenleben.

Leonard Brandbeck hat an der Universität Wien Sprachwissenschaft studiert. Seine Masterarbeit, auf der dieser Artikel basiert, trägt den Titel „Sequenzielle Organisation in Fußball-Konferenzschaltungen des Hörfunks – Reportagestruktur und Turn-Taking in der ARD-Bundesligakonferenz“.