Seit der allerersten Bundesligasaison kürt der Kicker zu jedem Spieltag eine Elf des Tages. Auf kicker.de sind all diese Allstar-Teams einzusehen. Auch wird am Ende jeder Spielzeit eine Elf der Saison gekürt, vor allem auf Grundlage der Durchschnittsnoten. Das ist sicher sinnvoll, trotzdem kann man ja auch mal probehalber schauen, welche Rankings sich ergeben, wenn man die Nominierungen für die Elf des Tages akkumuliert, und zwar nach Spielernamen wie auch nach Clubs. Welche Spieler und welche Clubs wurden am häufigsten für die Elf des Tages nominiert? Das kann man saisonweise oder auch, im Stile einer ewigen Elf des Tages, für die komplette Bundesligageschichte tun.
WeiterlesenKategorie: Elf des Spieltages
Ich nutze die fußballfreie Zeit und komplettiere meine Elf-des-Tages-Serie mit der noch ausstehenden korpuslinguistischen Berechnung des Portfolios eines perfekten Stürmers (siehe die Einträge zu Torhütern, Verteidigern und Mittelfeldspielern). Inzwischen liegen mir 1133 Elf-des-Tages-Texte von 67 Spieltagen von sportschau.de und goal.com vor, davon 259 Texte über Angreifer. Von diesen Angreifer-Lobeshymnen ermittelt der Computer die Worthäufigkeiten, vergleicht die Frequenzliste mit dem des gesamten Korpus und zeigt mir alle Wörter an, die in Angreifer-Texten signifikant häufiger und mithin typisch sind.
Solche Keywordlisten sind gewissermaßen ein Kondensat der Erwartungshaltungen, die Journalisten an das Spiel von Stürmern herantragen. Ich rühre aus dem Kondensat wieder eine Suppe an und verfasse hier eine besonders typische Stürmer-Lobeshymne. Um also in der Elf des Tages zu landen, muss ein Angreifer nur das hier tun (alle signifikanten Keywords sind fett markiert, das statistische Maß war Log Likelihood Ration, p < 0,05):
ein Doppelpack erzielen, am besten sogar drei Tore schießen | ein ständiger Unruheherd sein, stets Torgefahr ausstrahlen und seine Chancen eiskalt verwandeln | den Gegner quasi im Alleingang erledigen | das stehen, wo ein Torjäger stehen muss | mit dem Gegner leichtes Spiel haben | mit vielen Treffern sein Konto in die Höhe schrauben | damit den Weg in die Champions League ebnen
Der typische Angreifer-Phraseologismus (und damit das Pendant zum Turm in der Schlacht bzw. zum Dreh- und Angelpunkt) ist der ständige Unruheherd, der sich eben idealerweise im gegnerischen Strafraum befindet. Aber der perfekte Stürmer ist zu erstaunlichen Temperaturstürzen fähig, denn wenn er einmal den Ball auf dem Fuß hat, möge er bitte eiskalt sein.
Interessant ist neben dem Adverb quasi, mit dem die dem Teamgedanken allzu sehr entgegenstehende PP im Alleingang abgeschwächt wird, auch das Pronominaladverb damit (mit der Betonung auf da, nicht auf mit) in seiner anaphorischen Funktion, das typischerweise die Formulierung von Folgen des zuvor Genannten einleitet. Wenn es darum geht, die Folgen eines Spiels einem bestimmten Spieler anzurechnen, dann kommen dafür offenkundig vor allem toreschießende Stürmer in Frage.
Um die Torjägerkrone streiten sich mit jeweils 25 Nominierungen übrigens erwartungsgemäß Robert Lewandowski und Pierre-Emerick Aubameyang.
Und wieder rücke ich weiter nach vorne und errechne nun nach dem perfekten Torwart und dem perfekten Verteidiger auch das Portfolio des perfekten Mittelfeldspielers aus. Dazu unterziehe ich 1056 Elf-des-Tages-Texte aus 95 Spieltagen von sportschau.de und goal.com einer positionssortierten statistischen Keyword-Analyse. Der Computer zählt alle Wörter in den Mittelfeldspieler-Laudationes aus, vergleicht diese Frequenzliste mit der des gesamten Korpus und zeigt alle Wörter an, die in diesen Texten überzufällig häufig und deshalb typisch sind.
Solche Keywordlisten von Lobeshymnen auf vorbildliches Mittelfeldspiel sind das sprachliche Skelett der Erwartungshaltungen, die Journalisten derzeit an das Fußballspiel herantragen. Ich betätige mich dagegen als umgekehrter Anatom und behänge die Knochen wieder mit Fleisch – ich ergänze also die Wörter zu typischen Mittelfeldphrasen. Um in der Elf des Tages zu landen, müssen Mittelfeldspieler einfach nur das hier tun (alle signifikanten Keywords sind fett markiert, das statistische Maß war Log Likelihood Ratio, p < 0,05):
Dreh- und Angelpunkt des Spiels sein | an allen Treffern beteiligt sein | Tore auflegen und vorbereiten und eines selbst erzielen | der auffälligste Spieler auf dem Platz sein | die meisten Zweikämpfe führen | eine herausragende Laufleistung von mehr als 11 Kilometern hinlegen
Interessant ist hier vor allem der Kontrast zu den Verteidigern. Wurden diese vor allem an ihren in Prozent messbaren Zweikampfquoten gemessen werden, sind es bei den Mittelfeldspielern die Laufleistungen in Kilometern. Aufschlussreich ist auch das Wörtchen auffällig – damit ist eine Eigenschaft angesprochen, die Verteidigern eher nicht zukommen sollte, da im Defensivbereich vor allem Fehler auffallen würden. Verteidiger müssen ihren Job souverän und solide erledigen, mit einer Attitüde, die man in der Renaissance als sprezzatura beschrieben hat, und dazu gehört es eben gerade, auf auffällige Weise unauffällig zu sein.
Knapp unterhalb der Signifikanzschwelle führt die Keywordliste noch drei weitere aufschlussreiche Wörter: agil, schön und ballsicher. Auch das sind offenbar Eigenschaften, die man weder Verteidigern und Stürmern erwartet; diese müssen vielmehr eine gewisse Robustheit und Duchschlagskraft an den Tag legen.
Und wer ist nun der perfekte Mittelfeldspieler? Ungefährdet an der Spitze mit 18 Nominierungen: Henrikh Mkhitaryan.
Nachdem ich im letzten Post die Eigenschaften des perfekten Torwarts umrissen habe, arbeite ich mich nun auf dem Feld ein paar Meter nach vorne und widme mich nun den Verteidigern. Abermals gehe ich so vor, dass ich die Elf-des-Spieltages-Texte von 95 Spieltagen von sportschau.de und goal.com nach Positionen sortiere und die insgesamt 309 Verteidiger-Texte statistischen Keyword-Analysen unterziehe. Ich vergleiche also die Worthäufigkeiten in den Verteidigertexten mit denen des gesamten Korpus und lasse mir alle Wörter anzeigen, die in Verteidigertexten signifikant häufiger und deshalb typisch sind.
Da es sich durchgängig um Lobeshymnen auf besonders vorbildliche Verteidigerleistungen handelt, kann man von den errechneten Keywords auf die Erwartungen schließen, die Journalisten derzeit an das Verteidigerspiel herantragen (interessant wären jetzt natürlich diachrone Analysen, aber da fehlen mir die Daten). Und ich als Analysierender kann die Keywords als Gerüst für eine typische Verteidigerlaudatio verwenden. Um in der Elf des Tages zu landen, müssen Verteidiger einfach nur das hier tun (alle signifikanten Keywords sind fett markiert, das statistische Maß war Log Likelihood Ratio, p < 0,05):
souverän sein | möglichst viele Prozent der Zweikämpfe gewinnen und eine super Passquote haben | hinten alles abräumen und nichts anbrennen lassen | gutes Stellungsspiel beweisen | ein Turm in der Schlacht sein | seine Abwehrseite im Griff haben | den Gegner abmelden und nicht zur Entfaltung kommen lassen | für solides Aufbauspiel sorgen | sich vorne in die Offensive einschalten
Wenig überraschendes ist darunter, aber das haben typische Texte so an sich. Interessant ist aber doch, dass ein sehr guter Verteidiger sich von einem guten eben durch die Offensivaktionen unterscheidet. Und für offensive Spielzüge von Spielern, deren eigentliches Geschäft die Defensive ist, gibt es das vielsagende Wort einschalten.
Grammatisch aufschlussreich ist die Signifikanz von lassen, das fast nur negiert auftritt und in der Negation zwischen permittierender (die Entfaltung nicht zulassen) und kausativer (veranlassen, dass die Entfaltung nicht stattfindet) Lesart schwankt (vgl. IDS-Grammatik S. 1413). In jedem Fall sind nicht-lassen-Konstruktionen besonders dazu geeignet, das Abwartende, Reagierende im Abwehrspiel zu bezeichnen.
Der fleischgewordene perfekte Verteidiger in meinem Korpus mit stolzen 17 Nominierungen ist übrigens – Mats Hummels.
Eine schöne Textsorte der Fußballberichterstattung ist die Elf des Spieltages. Nach jedem Spieltag wird z.B. von von sportschau.de oder von goal.com ein Allstar-Team gekürt und jeder Spieler in einer kurzen Laudatio gerühmt. Praktischerweise sind diese Lobeshymnen nach Positionen sortiert und entsprechend gekennzeichnet, so dass diese Positionen in korpuslinguistischen Analysen als Metadaten in Form von xml-Attributen dienen können.
Seit ein paar Monaten sammle ich also Elf des Spieltages-Texte aus diesen beiden Quellen – 1056 Lobeshymnen aus 95 Spieltagen, insgesamt 48.000 Tokens. Mit statistischen Keyword-Analysen kann ich jetzt ausrechnen, welche Wörter etwa für Torwart-Texte typisch sind. Und da in diesen Texten erläutert wird, warum gerade dieser oder jene Spieler so herausragendes geleistet hat, dass er in die Elf des Spieltags aufgenommen wird, kann man aus diesen Wörtern Rückschlüsse auf die Erwartungen ziehen, die Journalisten typischerweise an das Spiel auf den jeweiligen Positionen herantragen. Eine halbautomatisierte Erwartungshaltungsanalyse also.