H****sohn. Ein linguistischer Kommentar

Eine Debatte um Schmähungen und Beleidigungen bestimmt den Fußballdiskurs dieser Tage. Aber nicht oder nicht primär eine Debatte um rassistische, sexistische, homophobe und andere diskriminierende Beschimpfungen, sondern um Schmähplakate und -spruchbänder, die am Wochenende gleich in mehreren Stadien zu sehen waren und einiges an Wirbel einschließlich Spielunterbrechungen verursacht haben. Da es sich bei den hier diskutierten Schmähungen immerhin um sprachliche Äußerungen handelt, nehme ich es mir heraus, den vielen guten Wortmeldungen noch einen Kommentar aus spezifisch linguistischer Sicht hinzuzufügen.

Zur Debatte selbst haben sich ja schon verschiedene sehr geschätzte Kolleg*innen sehr klug geäußert (etwa Klaas Reese, Nicole Selmer oder, bezogen auf die Auswirkungen auf Fankultur und ihre Beziehung zu den Verbänden, Michael Wetzels). Sie haben Stellung genommen etwa zur verheerenden Nicht-Unterscheidung von persönlichen Beleidigungen und gruppenbezogenen Diskriminierungen, welche die in beiden Fällen doch sehr ungleich verteilten Machtverhältnisse ignoriert. Denn ob ein einzelner alter weißer Mann persönlich beleidigt oder ganze Gruppen bzw. einzelne Menschen als Stellvertreter für diese Gruppen abgewertet werden, ist nicht das gleiche. Und zugleich wird paradoxerweise doch eine Totalunterscheidung beider Formen vorgenommen, indem die Beleidigungen nun breit mit Spielabbrüchen geahndet und mit Freundschaftskicks antidotiert werden. Bei rassistischen Vorfällen hat man auf solche Reaktionen viel zu oft umsonst warten müssen.

Der Stein des Anstoßes

Das alles haben wie gesagt die Kolleg*innen schon gut aufgezeigt, aber hier noch ein paar Bemerkungen zum eigentlichen Stein des Anstoßes, dem Wort H****sohn. Denn es fällt ja auf, dass es in einer ganz offenbar konzertierten Aktion an so vielen Stellen auf den Plakaten auftauchte. Zweifellos ist „H****sohn“ eine ausgesprochen derbe Beleidigung. Zwar mag sie zum üblichen Beleidigungsinventar unter Fußballfans dazugehören (vgl. Winands 2015: 214) und somit kulturell tradiert sein. Aber spätestens dann, wenn sie von der affektiven und aus dem Moment heraus geäußerten Beschimpfung den Weg auf die wohlüberlegten und aufwändig vorbereiteten Spruchbänder findet, bei denen ein ganzes Kollektiv als Urheber und auch Übermittler (mit Goffman gesprochen als principal und animator) fungiert, bekommt diese Beleidigung ein ganz anderes Gewicht. Man kann mit gutem Grund die Verwendung gerade dieses Wortes als Beleidigung kritisieren, nicht zuletzt deswegen, weil es sich um eine sexistische Beschimpfung handelt, die höchstproblematische Geschlechterstereotype bedient. Und vollends kritikwürdig wird es, wenn es zusammen mit einem Konterfei Dietmar Hopps im Fadenkreuz präsentiert wird.

H****sohn zwischen use und mention

Aber entscheidend für die Aktionen vom vergangenen Wochenende ist noch etwas anderes: Die H****sohn-Plakate sind Teil von Protestaktionen gegen die Kollektivstrafen, deren Abschaffung der DFB im Jahr 2017 zwar angekündigt, aber nun durch ein Urteil gegen die Fans von Borussia Dortmund eben doch wieder eingeführt hat – u.a. deswegen, weil sie Dietmar Hopp wiederholt als „H****sohn“ bezeichnet haben. Die Forderung „Kollektivstrafen abschaffen“ ist deshalb in den meisten Fällen ganz ausdrücklich auf den Spruchbändern zu lesen gewesen. Aber selbst wenn nicht: Ein H****sohn-Spruchband ist im aktuellen Diskurskontext immer beides: Eine Beleidigung gegen Dietmar Hopp und eine Anspielung auf die nunmehr inkriminierte Praxis der Beleidigung, und deshalb auch eine – in der Form natürlich bewusst provokante – Kritik an dieser Inkriminierung selbst.

Linguistisch lässt sich diese Doppelfunktion vielleicht ganz gut mit der „use-mention distinction“ fassen, wie sie von Sperber/Wilson (1981) vorgeschlagen wurde. Wir können Wörter selbst verwenden, um uns auf Gegenstände und Sachverhalte zu beziehen und ihnen Eigenschaften zuzuweisen (etwa „Der Hund bellt“). Wir können diese Wörter aber auch nur erwähnen, etwa indem wir sie zitieren und ihre Eigenschaften thematisieren. Diese Eigenschaften können formaler (etwa „Hund ist ein Wort mit vier Buchstaben“), aber auch pragmatischer Natur sein (etwa „Hund ist in bestimmten Kontexten eine Beleidigung“). Nicht immer ist diese Unterscheidung so klar markiert, wie es hier durch die Kursivschreibung und auch die, wie man in der Linguistik sagt, syntaktische Desintegration der Fall ist, und es gibt eben Fälle, wo beides ineinanderfließt. Laut Sperber/Wilson ist das bei ironischen Äußerungen wie „Ganz toll gemacht!“ der Fall, die sie als „echoic mention“ beschreiben: Man zitiert gewissermaßen ein Lob, überträgt es in eine untypische Situation, in der es ihr ursprünglicher Sinn suspendiert wird.

Nun trifft es ganz sicher nicht den Punkt, die H****sohn-Plakate als ironische Äußerungen zu beschreiben, die in Wirklichkeit Lob sind (auch wenn es ähnliches bei Formen des Teasing durchaus geben mag). Aber dass das Wort H****sohn nicht nur beleidigend gebraucht, sondern auch als Beleidigung, und zwar als mit Kollektivstrafen über die Gebühr geahndete Beleidigung erwähnt und thematisiert wird, scheint mir auf der Hand zu liegen. Und so ganz ohne ironische Distanzierung funktionieren die Plakate bei aller Derbheit der Kritik eben doch nicht.

Judith Butler vs. Rummenigge

In einer etwas anderen argumentative Stoßrichtung findet sich die Unterscheidung zwischen use und mention auch bei Judith Butler in ihrem Essay Excitable Speech, in dem sie diese Unterscheidung speziell auf verletzende Ausdrücke anwendet:

An aesthetic enactment of an injurious word may both use the word and mention it, that is, make use of it to produce certain effects, but also at the same time make reference to that very use, calling attention to it as a citation, situating that use within a citational legacy, making that use into an explicit discursive item to be reflected on rather than a taken for granted operation of ordinary language.

Judith Butler: Excitable Speech. A Politics of the Performative. New York, London: Routledge 1997, p. 99

Und das trifft nun genau den Punkt: In der ästhetischen Inszenierung, die ein Spruchband definitiv darstellt, wird das Wort H****sohn, dessen Effekte hier ganz gezielt kalkuliert werden, zu einem discursive item, über den reflektiert werden soll (und verschiedene Fangruppierungen wie etwa Südkurve München haben das selbst auch genau so dargestellt). Und man kann sich schon die Frage stellen, ob Schiedsrichtern, die nunmehr aus dem Spiel heraus über den beleidigenden Gehalt von Spruchbändern befinden und ggf. Spielunterbrechungen erwirken sollen, nicht zu viel zugemutet wird, wenn sie über derart metadiskursive Praktiken entscheiden sollen. Denn selbst Rummenigge et al., die die Spruchbänder allen Ernstes als das sich nunmehr zeigende „hässliche Gesicht des Fußballs“ bezeichnet haben, so als hätte es Rassismus, Antisemitismus und andere menschenverachtende Haltungen nie in wirklich problematischem Ausmaß gegeben – selbst die sind ja mit der reflektierten Einordnung dieser Protestaktionen ganz offenbar überfordert.

Literatur:

  • Butler, Judith (1997): Excitable Speech. A Politics of the Performative. New York, London: Routledge.
  • Goffman, Erving (1981): Forms of Talk. Pittsburgh: University of Pennsylvania Press.
  • Sperber, Dan/Wilson, Deirdre (1981): Irony and the use-mention distinction. In: Cole, Peter (Hg.): Radical pragmatics. New York: Academic Press. S. 295–318.
  • Winands, Martin (2015): Interaktionen von Fußballfans. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.

1 Kommentar

  1. Michael Wetzels

    Vielen Dank für die Kommentierung des Ereignisses und auch die Nennung in deinem Beitrag, lieber Simon!

    Deinen Hinweis auf die unterschiedlichen Dimensionen des „use“ und „mention“ finde ich hier selhr erhellend, insbesondere aus der Richtung von Butler. Die Diskursivierung des Wortes und nicht zu vergessen auch des Fadenkreuzes als Symbol lässt nicht nur die Eindeutigkeit des Gemeinten (sowohl aus Richtung der Ultrafraktionen wie auch der Verantwortlichen) verschwimmen, sondern eröffnet die vielfachen Interpretationsebenen, die hier möglich sind.

    Deswegen wäre hier aus meiner Perspektive, ich hab es ja auch kurz in meinem Twitter-Thread schon umrissen, aufzufangen, welche Arten von Diskurs- und Strukturkonstellationen hier aufeinanderprallen, die unterschiedliche Interpretationen wie auch Motive der Antwortenden im Diskurs illuminieren können.

    Schiedsrichter, Funktionäre (Rummenigge, Hopp, Eberl etc.), aber auch Ultras und andere Formationen sind hier nicht in einen Topf zu werfen, sondern verfolgen aus ihren jeweiligen Sichtweisen um das in der Situation Gezeigte (Spruchbanner + Bild mit Fadenkreuz) Intentionen in der Bewertung dessen, was da gerade stattfindet.

    Denn ich glaube kaum (das ist jetzt meine persönliche Meinung), dass es Rummenigge und Flick primär darum ging ethisch zu sein, sondern sie Angst hatten ein bereits haushoch gewonnenes Spiel durch den Drei-Stufen-Plan der UEFA am ‚grünen Tisch‘ zu verlieren und dadurch drei wichtige Punkte einzubüßen (Strukturkonstellation). Hinzu kommt natürlich, dass SAP einer der Sponsoren vom FC Bayern ist, was das Ganze nochmal verschärft. Da ging es knallhart ums Geschäft und um die lieben Millionen und nicht darum, dass Dietmar Hopp ein ‚Ehrenmann‘ ist.

    Nur mal um ein Beispiel zu nennen, die Ultrafraktionen sind da nochmal disperser, vor allem qua Vereinszugehörigkeit, zu betrachten in ihrer Motivsetzung (Topoi „gegen Kollektivstrafen“ mag das Gleiche sein, die Gruppierungen haben aber unterschiedliche Intrinsiken sich zu beteiligen).

    Und das fehlt mir ein bisschen in deiner Anfangsordnung im Beitrag. Das wäre meine Anmerkung, nämlich das eine stärkere Differenzierung der Begriffe „Kollektiv“ und „Affekt“ vorgenommen und nicht zusammen als ‚unheilige Verbindung‘ angeführt werden sollte. Selbst das ’spontane‘ Rufen in der Situation, ist nicht einfach spontan, sondern gebunden an eine zuvor geschehende Situation, die als ‚unfair‘ von der jeweiligen Formation des Kollektivs, und nicht von seiner Gesamtheit mitgetragen wird. H****sohn rufen vielleicht einige, aber nicht alle. Heißt, Affizierung ist hier an Bewertung und dann an das Handeln gebunden, und das machen dann vielleicht einige Formationen des Kollektivs, aber eben nicht alle. Wäre halt eine empirische Frage und nicht, dass das ja sowieso Usus ist mit dem ‚Affekt‘ und dem ‚Kollektiv‘.

    Wäre etwas worüber aus linguistischer und soziologischer Perspektive mal nachgedacht werden könnte 😉

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