Seit heute ist in den Korpora zur Fußballlinguistik ein kleines feines Subkorpus mit 537 Livetickern zur Schweizer Super League von nzz.ch öffentlich zugänglich. Die Syndication Abteilung der NZZ war so freundlich, „zu Gunsten der Bildung“ auf Lizenzgebühren zu verzichten. Die Einräumung der Nutzungsrechte war mit dem Hinweis verbunden, dass die NZZ die Liveticker auch nur von extern einkauft, und zwar von der heim:spiel GmbH, die auch die weltfussball-Liveticker erstellt. Mag sein, doch ist sehr wahrscheinlich, dass nicht das übliche Münsteraner Autorenteam an den Tasten saß, sondern ein/e Schweizer Muttersprachler/in. Denn die Liveticker weisen so manche sprachliche Eigenheit auf, die die Liveticker als typisch Schweizerisch ausweist, aber kaum so bekannt sein dürfte, dass ein/e Deutsche/r sie imitieren könnte.

Die Schweiz hat nicht nur die vielen Varianten der Schweizerdeutschen Mundarten, auch das geschriebene Standarddeutsch unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht vom Bundesdeutschen. Im Wortschatz gibt es einige Unterschiede, aber auch die Grammatik weist Eigenheiten auf. Das Zürcher/Salzburger Forschungsprojekt zur Variantengrammatik kümmert sich um eine umfassende Dokumentation dieser Unterschiede, und auch das Variantenwörterbuch von Ammon et al. ist eine nützliche Quelle. Und für alles findet man auch in den Livetickern Anschauungsbeispiele.

Standardvarianten der Schweizer Fussballsprache

Zunächst fällt auf, dass der Schweizer Fussballjargon wesentlich mehr Anglizismen enthält. Diese aber, das ist das Interessante daran, sind eigentlich die älteren. In Deutschland hatte der Gymnasiallehrer Konrad Koch, der in sprachpflegerischen Kreisen aktiv war, Eindeutschungen für die bis dahin englischen Fachtermini des Fußballs vorgeschlagen. Die konnten sich in Deutschland durchsetzen, nicht aber in der Schweiz (und auch nicht in Österreich btw), wo man bei den bewährten englischen Bezeichnungen blieb – bis heute, wie die Liveticker zeigen:

Der anschliessende Corner bringt keine Gefahr.

Ganz knapp fliegt die Kugel über die Torlatte ins Out.

Das hätte Penalty geben können!

Sandro Lombardi wird aufgrund eines Offsides zurückgepfiffen.

Der Kick-off ist um 13:45 Uhr.

Hinzu kommen einige klassische lexikalische Besonderheiten, wie etwa parkieren oder Unterbruch:

GC hat jedoch den Bus vor dem eigenen Strafraum parkiert und so ist es schwer mit den Hereingaben einen Luzerner Abnehmer zu finden.

Viele kleine Unterbrüche durch Fouls, Abseitspositionen und Auswechslungen lassen keinen wirklichen Spielrhythmus entstehen, sodass die Minuten ohne nennenswerte Aktionen verstreichen.

All diese Eigentümlichkeiten lassen sich in den Korpora mit Keywordanalysen finden, also der Konstrastierung des NZZ-Korpus mit dem bundesdeutschen Parallelkorpus des gleichen Anbieters zur Ermittlung signifikanter Frequenzunterschiede. Dieses Verfahren zeigt auch, dass etwa das Verb lancieren in den Schweizer Tickern viel häufiger ist und im Schweizer Standard offenbar einem anderen Valenzmuster folgt als im Bundesdeutschen:

Koch wurde von der Mittellinie in die Tiefe lanciert und wollte den Ball am Italiener vorbeischieben.

Ebenfalls ein hochsignifikantes Keyword ist das Verb pflegen, das in den Schweizer Tickern statt behandeln verwendet wird. Für ein bundesdeutsches Ohr wie meines, ich gebe es zu, klingt das ausgesprochen fürsorglich:

Everton liegt am Boden und muss gepflegt werden.

Besonders schön finde ich aber den Befund, dass das Adverb bereits in den Schweizer Tickern gut doppelt so häufig ist. In den bundesdeutschen Tickern ist schon die oft gewählte Alternative. Und: In den Schweizer Tickern finden wir auch eine tatsächlich schweizspezifische Verwendungsweise von bereits in der Vorfeldposition (vgl. dazu diesen Artikel in der Variantengrammatik):

Bereits gehts wieder los mit den Chancen.

Bereits steht es 1:0 für den Leader.

Aus einer ignoranten bundesdeutschen Perspektive mögen diese Sätze falsch oder wenigstens auffällig sein, man würde wohl das es ins Vorfeld setzen: „Es geht bereits/schon wieder los…“ Aber das Deutsche ist eben eine plurizentrische Sprache mit mehreren  Standardvarietäten, von denen der bundesdeutsche schriftsprachliche Standard nur eine ist. Sogar in einer hochformalisierten Textsorte wie Fussball-Livetickern (auch diese orthographische Variante ist ein Beleg dafür) schlägt sich diese Plurizentrik nieder.