Fußballzeit ist Phrasenzeit. Daran hat man sich gewöhnt und das macht irgendwie auch Spaß, denn sonst wären nicht die Zeitungen und Sozialen Medien voll von den Listen der besten, lustigsten oder auch nervigsten Fußballphrasen. Der Fußball hat mit dem Phrasenschwein auch eine eigene, institutionalisierte Form der Reflexion über Phrasen hervorgebracht. Das Phrasenschwein, in der Fußball-Talkrunde Doppelpass entstanden und dort bis heute im Einsatz, ist längst sprichwörtliches Allgemeingut geworden, und die sprachkritische Intervention, dass irgendeine Plattitüde mit 3 Euro fürs Phrasenschwein abgegolten werden müsse, ist nicht mehr nur im Reden über Fußball üblich.
Zusammen mit meinem Kollegen Stefan Hauser habe ich mir die Institution des Phrasenschweins aus einer linguistischen, gesprächsanalytischen Perspektive genauer angesehen. Wir haben einige Folgen des Doppelpass gesichtet und alle Phrasenschwein-Passagen transkribiert. Wir wollten wissen, was überhaupt alles als „Phrase“ moniert wird, wie sich dieses Phrasenkonzept zu den in der Linguistik üblichen Kategorien von Phraseologismen verhält, vor allem aber, wie sich die Sprachreflexion in der Interaktion konkret vollzieht.
Denn natürlich ist das Phrasenkonzept im Doppelpass aus einer linguistischen Perspektive unscharf und widersprüchlich (Rekurrenz scheint das einzige gemeinsame Merkmal zu sein). Aber das in der Linguistik so gerne vertretene Argument, dass „Laienlinguistik“ eben keine wirkliche Linguistik ist, finden wir wenig hilfreich, um das Phänomen zu verstehen. Und deshalb haben wir uns mit gesprächsanalytischen Methoden genau angesehen, wie und mit welchen sprachlichen, gestischen und mimischen Mitteln die sprachreflexiven Urteile gefällt und auch im Gespräch ausgehandelt werden.
Phrasen sind Teil des Spiels
In Berichten über das Phrasenschwein wird oft die Meinung vertreten (und von der antipräskriptiven Linguistik entsprechend kritisch beäugt), dass das Phrasenschwein ein Sanktionierungsmechanismus sei, der das Reden über Fußball von Phrasen freihalten soll. Wir haben dagegen festgestellt, dass Phrasen oftmals geradezu zelebriert werden. Viele Sprecher bezichtigen sich selbst und noch vor dem Aussprechen der Phrase und zahlen dann genüsslich und unter Applaus des Publikums ein, manchmal sogar mit Jubelgesten wie nach einem geschossenen Tor. Phrasen werden von den anderen Gästen auf ihre Güte hin beurteilt („besser geht’s nicht“) und vor allem lachen sich immer alle halb kaputt, wenn Phrasen rausgehauen werden. Wer in Phrasen spricht, so könnte man das formulieren, der hält sich schlicht an die Regeln des Spiels, und wer darüber auch noch locker und zwanglos reflektieren kann, beherrscht das Spiel noch besser.
In loser Anlehnung an Bachtin könnte man sagen, dass Phrasen im Fußball eine karnevaleske Rolle haben: Gegen die in anderen Diskursdomänen wie etwa der Politik geltende Norm, dass man möglichst nicht in leeren Phrasen reden soll, kann und soll im Fußball verstoßen werden. Das ist Teil des Spiels, das der Fußball und auch das Reden über dem Fußball schließlich immer noch ist.
Stefan Hauser/Simon Meier (2018): „Das is ’ne Phrase? Dann sind alles Phrasen!“ – Feste Wortverbindungen und ihre metapragmatische Thematisierung in der TV-Talkrunde Doppelpass. In: Aptum. Zeitschrift für Sprachkritik und Sprachkultur. 14. Jahrgang, 2018, Heft 02, S. 157–174.
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