Zu den unerschöpflichen Quellgründen der Analyse und Bewertung von Fußballspielen gehört der Topos vom Fußball als Mannschaftssport. „Der Star ist die Mannschaft“, wie es jetzt mal wieder über den frisch gekürten Weltmeister Frankreich, aber auch über den Finalgegner Kroatien heißt, ist nur die expliziteste Ausprägung. Von „geschlossenen Mannschaftsleistungen“ ist die Rede, davon, dass jeder seine Rolle im Team kennt, und für Spielmacher ist es das größte Lob, wenn sie ihre „Mitspieler in Szene setzen“ können. Aber auch die Rede von der „individuellen Klasse“ einzelner Spieler, die ein Spiel „quasi im Alleingang entscheiden“ können, erhält ihre Bedeutung gerade aus dem Kontrast zum eigentlichen Ideal der Kollektivleistung.
Dabei umfasst dieses Kollektiv mehr als nur die 11 Spieler auf dem Platz. Die Einwechselspieler gehören natürlich dazu, die Trainer und ihr Team und schließlich auch der sprichwörtliche zwölfte Mann, die Fans. Wie sehr sich Trainer und Fans als Teil des Kollektivs sehen, zeigt sich in einem kleinen, aber aufschlussreichen sprachlichen Detail, nämlich der Wahl der sprachlichen Mittel, um auf die Mannschaft (die auf’m Platz) und ihre Leistungen Bezug zu nehmen. „Wir haben gut gespielt“ können auch die sagen, die selbst gar nicht gespielt haben, und dass 2014 „wir“ Weltmeister geworden sind, ist ja auch klar.
Obwohl aber die Bezugnahme mit „wir“ der Standardfall sein mag, kann man auch davon abweichen und „sie“, „die Mannschaft“ o.ä. sagen. Einem gerne gepflegten Klischee zufolge ist es unter Fans wohl so, dass „wir gewonnen“, aber „sie verloren“ haben. Erfolge verbucht man gerne auch für sich, während man Kritik gerne auf andere abschiebt. Wie aber halten es die Trainer?
Tobias Escher hat mich via Twitter darauf hingewiesen, dass Trainer in der Fußballlehrerausbildung ausdrücklich darauf getrimmt werden, es genau anders herum zu handhaben: Kritik soll im Modus des Wir formuliert, also Verantwortung für die kritisierte Leistung übernommen werden; Lob kann und soll dagegen (in Fortführung des Sprichworts, dass Eigenlob stinkt) in der dritten Person vorgetragen werden.
Bezugnahmen aufs Team – eine quantitative Untersuchung
Vor einiger Zeit habe ich 13 zufällig ausgewählte spielanschließende Pressekonferenzen mit Bundesligatrainern aus der Rückrunde 2013 genau auf diese Frage hin ausgewertet, also ausgezählt, wie die Trainer auf ihre Mannschaften Bezug nehmen. In 78 % der insgesamt 514 Fälle tun sie das mit wir bzw. uns wie etwa hier Thorsten Fink:
In der Anfangsphase ham wir zwei Standardsituationen hergegeben
Die verbleibenden 20 % verteilen sich auf die 3. Person:
Die Truppe hat wirklich sehr aggressiv gespielt
und generische Formulierungen mit man bzw. du:
Das ist aber auch das nötige Glück, was man sich dann im Verlaufe des Spiels erarbeitet hat
Die Fälle, in denen die Trainer von der Standardform des Wir abweichen und die 3. Person wählen, habe ich mir genauer angesehen und geprüft, ob sie eher kritisch oder eher lobend motiviert sind. In knapp der Hälfte der Fälle ist der Wechsel in die 3. Person vor allem syntaktisch bedingt, etwa wenn Jürgen Klopp berichtet, dass er in der Halbzeitpause den Jungs gesagt habe, dass sie immer noch führen. Das Verb sagen verlangt eben einfach ein Objekt, das nicht der Sprecher selbst sein kann, denn sich sagen bedeutet etwas anderes als jmdm. sagen. In der verbleibenden Hälfte dagegen, wo der Wechsel zur 3. Person tatsächlich auf einer freien Wahl beruht und somit rhetorisch bedeutsam ist, wird nur sehr vereinzelt Kritik geübt. In den meisten Fällen wird Lob ausgesprochen, das die Trainer dadurch, dass sie es ausschließlich für Mannschaft selbst reserviert wissen möchten, noch einmal zuspitzen. Besonders deutlich wird das etwa in folgendem Zitat von Dieter Hecking:
Was die Mannschaft dann gemacht hat nach diesem Platzverweis, das gebührt eigentlich noch mal herausgestellt zu werden
Eben dieses Herausstellen wird schon dadurch geleistet, dass Hecking hier explizit von der Mannschaft spricht.
Die Trainer haben also in der Fußballlehrerausbildung gut aufgepasst, und die Unterrichtseinheit „Kommunikation“ hat Spuren hinterlassen. Besonders schön ist dabei der folgende Fall einer Selbstkorrektur von Thorsten Fink:
Wir ham gefightet die Mannschaft hat gefightet
Als würde sich Fink noch im Moment des Aussprechens an das Eigenlob-Verdikt erinnern, schiebt er direkt die ‚korrekte’ Form hinterher und rückt dadurch die Mannschaft in den Fokus.
Die Stillosigkeit von Bierhoff & Co.
Zieht man all das in Betracht, so ist das jüngste Verhalten der Verantwortlichen der Nationalmannschaft Grindel und Bierhoff, die die versemmelte WM offenbar gerne einem Spieler anlasten wollen, tatsächlich auffällig stillos, wie auch Tobias Escher meint:
Es gibt eine simple Kommunikationsregel für Trainer: Wenn die Mannschaft gewinnt, haben die Spieler gewonnen. Wenn die Mannschaft verliert, hat der Trainer verloren. Gilt meines Erachtens auch für Manager wie #Bierhoff. Seine Kritik an Özil: Stillos. Einfach stillos.
— Tobias Escher (@TobiasEscher) 5. Juli 2018
In Zeiten des Erfolgs das Kollektiv hochhalten, aber Krisenzeiten die Verantwortung bei Einzelnen suchen, und sei es ganz beiläufig in der Wahl der Pronomen – selbst mäßig erfolgreiche (Interims-)Trainer wissen, dass man so etwas nicht tut.
Simon Meier (2015): „Wir“, „sie“ oder „meine Mannschaft“ – Wie Fußballtrainer vor der Presse auf ihr Team referieren. In: Joachim Born/Thomas Gloning: Sport, Sprache, Kommunikation, Medien. Interdisziplinäre Perspektiven. Gießen: Gießener Elektronische Bibliothek Gießen (= Linguistische Untersuchungen 8), S. 271–294.
Simon Meier (2018): Personalreferenz in Sportpressekonferenzen und Politikinterviews in kognitiv-pragmatischer Sicht. In: Konstanze Marx, Simon Meier (Hg.): Sprachliches Handeln und Kognition. Theoretische Grundlagen und empirische Analysen. Berlin/Boston: de Gruyter (= Linguistik – Impulse & Tendenzen 75), S. 89–112.
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