Im lesenswerten Buch „Die Weltmeister von Bern. Biographie einer Jahrhundertmannschaft“ von Tobias Escher berichtet der Autor von dem gescheiterten Versuch eines italienischen Unterhändlers, Helmut Rahn im Sommer 1952 für ein Kopfgeld von 150.000 Mark für Inter Mailand zu verpflichten. Die Absage des Vereinsmäzens paraphrasiert Escher wie folgt: „Rahn habe Vertrag und sei Nationalspieler.“ (S. 103). Beim Lesen dieser Passage habe ich gestutzt, denn die artikellose Konstruktion „Rahn hat Vertrag“ hätte ich jünger vermutet. Ob sie vor über 70 Jahren schon Gebrauch war? Oder wird hier ein moderner Sprachgebrauch den historischen Akteuren in den Mund gelegt?

Zunächst muss man zugestehen, dass Tobias Escher hier mit indirekter Rede arbeitet und deshalb in seiner Wortwahl frei ist. Anders als bei einem wörtlichen Zitat legt man sich bei indirekter Rede nicht fest, was genau geäußert wurde. Nach meinem Sprachgefühl gibt es aber so etwas wie die Tendenz, dass stilistisch markierte, z.B. besonders jargonhafte Formulierungen auch in indirekter Rede erhalten bleiben (so etwas hat man z.B. für Phraseologismen zeigen können, vgl. Burger 1999: 85). Im Umkehrschluss würde das bedeuten: Das Auftreten einer stilistisch auffälligen Formulierung in indirekter Rede darf als Hinweis darauf gelesen werden, dass sie auch im Ursprungszitat so geäußert wurde.

Warum aber bezeichne ich „Rahn hat bzw. habe Vertrag“ überhaupt als stilistisch markiert? Nun, in der Fußballdomäne mag sie nicht weiter auffällig sein; genau das ist aber, wenn man der Forschung glauben mag, eine eher jüngere Entwicklung. In einer 2013 publizierten Studie können d’Avis und Finkbeiner zeigen, dass die artikellose Verwendung „hat Vertrag“ anstelle von „hat einen Vertrag“ erstens sehr fußballcharakteristisch ist und zweitens erst seit den 1990er Jahren in Gebrauch ist. Sie selbst geben noch an, dass diese Formulierung „viele im ersten Moment stutzen“ lasse, da sie eigentlich ungrammatisch sei. Tatsächlich wird sie bis heute immer wieder in sprachkritischer Absicht thematisiert und als vermeintlicher Beleg dafür herangezogen, dass es mit den Grammatikkenntnissen von Fußballern und in der Folge auch von Fußballjournalist:innen, die diese Redeweise in die Presse tragen, nicht so weit her sei.

Seit 2013 hat sich die Korpuslandschaft noch einmal verändert und es sind deutlich mehr Zeitungen digital verfügbar. Ich komme bei einer Nacherhebung aber zu ähnlichen Ergebnissen wie d’Avis & Finkbeiner. Der älteste Beleg, den ich finden konnte, stammt aus der Süddeutschen Zeitung im Jahr 1992:

Derkatch hat Vertrag in Zürich, dito der Kanadier Morrison bei Zweitligist Kassel, für den spricht, daß er die baldige Naturalisierung erwarten darf.

Süddeutsche Zeitung, 24.11.1992

Ein weiterer früher Beleg findet sich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im Jahr 1994 und ist in doppelter Hinsicht interessant:

„Ich habe Vertrag mit DFB“, antwortete Berti Vogts wahrheitsgemäß und gab damit gleich Auskunft über den geistig-moralischen Zustand der gesamten WM-Expedition ’94.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.07.1994

Hier wird die Formulierung wörtlich zitiert, womit der Journalist zugleich die Verantwortung für diese offenbar normabweichende Formulierung abgibt. Und mehr noch, er macht diese Distanzierung explizit, indem er die Formulierung, die hier noch durch die ebenfalls artikellose Konstruktion „mit DFB“ getoppt wird, als Symptom für einen offenbar schwachen geistig-moralischen Zustand deutet. Und tatsächlich müssen noch weitere 16 Jahre vergehen, ehe sich die FAZ auch außerhalb von wörtlichen Zitaten die Formulierung „er hat Vertrag“ zu eigen macht.

Gomez hat Vertrag bis 2013, aber die nächste Chance auf einen Neuanfang geht schon am Dienstag dahin.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.08.2010

Nun reden wir hier aber über Zeitungstexte als standardnormorientierten Texten. Bis typisch mündliche Formulierungen auch hier ankommen, dauert es seine Zeit. Und dass „er hat Vertrag“ über wörtliche Zitate den Weg in die Pressesprache gefunden hat, lässt vermuten, dass die Formulierung im Gesprochenen, zumal in der fußballinternen Kommunikation wie in der von Escher geschilderten Szene, bereits viel früher in Gebrauch war. Vielleicht ist es einfach seit vielen Jahrzehnten vollkommen üblicher Fußballjargon, den sich Zeitungen aber erst seit kurzem zu übernehmen trauen? Dazu müsste man, solange keine Tonaufnahmen zur Verfügung stehen, ältere Zeitgenossen befragen, deren Urteilsfähigkeit bei einem so spezifischen Detail aber auch fraglich ist.

Ich würde vorerst bei der Einschätzung bleiben, dass der im neuen Jahrtausend journalistisch sozialisierte Tobias Escher eine eigentlich neue Formulierung auf einen historischen Kontext projiziert hat. Da das Buch sich an heutige Lesende richtet und keine historisch-kritische Abhandlung ist, ist das natürlich vollkommen unproblematisch. Als Lektor hätte ich trotzdem ein Fragezeichen an den Rand geschrieben und mich beim Autor rückversichert, ob er hier mit Absicht handelt. Denn insgesamt scheint mir Tobias Escher als fußballhistorisch höchst kundiger Autor mit beeindruckender Quellenkenntnis sehr bewusst mit der Fußballterminologie umzugehen. Aber vielleicht hat er ja auch Belege parat, dass man „er hat Vertrag“ schon viel früher gesagt hat?