Der Hype um Big Data macht auch vor dem Fußball nicht Halt. So haben Memmert und Raabe in einem prominent unterstützten Buch die digitale Revolution des Profifußballs ausgerufen. Trackingtechnologien und umfassende Datenbanken mit Leistungsdaten sorgen für eine nie gekannte Datenflut in Echtzeit, die dank immer besserer Rechenleistungen nun auch ausgewertet werden können. Dass aus zählbaren Items Erfolgsfaktoren abgeleitet werden, ist zwar annähernd so alt wie der Profifußball selbst. Aber in den letzten Jahren, das kann man etwa in Biermanns Buch „Matchplan“ (2018) nachlesen, sind mit besonderem Nachdruck hochkomplexe Metriken entwickelt worden, um Leistung messbar und Erfolg kalkulierbar machen zu können.
Die ganz avancierten Sachen sind bislang auf Forschungs- und Trainingskontexte beschränkt, aber auch in der Mainstream-Fußballberichterstattung sind Zahlen und Daten wichtiger geworden. Wie aber verträgt sich ein solcher quantifizierender Blick auf das Spiel mit der Unterhaltungsfunktion, die Fußballberichterstattung immer auch erfüllen muss? Dazu habe ich mir die Spielberichte und Liveticker des Kicker darauf hin angesehen, wie und mit welchen sprachlichen Mitteln dort auf Daten Bezug genommen wird.
Livedaten im Kicker: Korpuslinguistische Befunde
Mein Vorgehen war recht simpel: Ich habe einfach mal nach den Ausdrücken Prozent bzw. % gesucht. So werden insbesondere Ballbesitz-, Pass- und Zweikampfquoten berichtet. Gefunden habe ich zunächst, dass ihre Verwendung in der Saison 2013/14 sprunghaft ansteigt:
Ab der Saison 2013/14 standen den Kickerredakteur*innen Livedaten zur Verfügung, auf die vor allem in den Livetickern gerne und oft mit der Phrase „Ein Blick auf die LIVE!-Daten“ verwiesen wurde (die eigenartige Schreibweise zeigt, dass es offenbar als eine Art Marke etabliert werden sollte). Man sieht aber auch, dass die Ausdrücke zuletzt wieder rückläufig waren. Die ganz große Dateneuphorie ist offenbar vorbei.
In einem weiteren Schritt habe ich mir – methodisch umgesetzt durch eine Kollokationsanalyse – angesehen, wie die Erwähnungen der Daten in den Textzusammenhang eingebettet sind. So fällt zunächst auf, dass die Werte, als solche ja nackte Zahlen, meist mit wertenden Adjektiven wie überragend, imponierend oder auch katastrophal versehen werden. Sie werden also interpretiert und vor dem Hintergrund von Zielvorstellungen bewertet. Das mag trivial klingen, ist aber relevant, weil sich hier in die vermeintliche Objektivität der Zahlen ein subjektives Moment einschleicht.
Dazu passt auch ein weiterer Befund. Die Verweise auf Daten in den Livetickern sind meist so gestaltet, dass zuerst eher qualitative Charakterisierungen etwa von Überlegenheit erfolgen, gerne auch als „optischer Eindruck“ beschrieben, die dann nachträglich durch Zahlen belegt, bestätigt oder untermauert werden. Es ist also oftmals gerade nicht so, dass die Daten die Grundlage für die Spieldeutungen sind, sondern es werden jene Daten zusammengesucht, die zu den subjektiven Eindrücken gut passen. Es kommt natürlich auch oft vor, dass die Daten dem optischen Eindruck nicht entsprechen; und zwar so oft, dass adversative Konnektoren wie zwar – aber oder doch Kollokate von Prozent sind. Aber die Daten werden eher nicht zum Anlass genommen, den eigenen subjektiven Eindruck zu korrigieren. Vielmehr wird gerade die Diskrepanz zur Konstruktion von Überraschungsmomenten und von Dramatik genutzt, die für eine attraktive (Live-)Berichterstattung so wichtig sind.
Livedaten als Pausenclowns
Für eine wirklich auf die Dramatik des Moments setzende Berichterstattung sind aber Livedaten ohnehin eher unbrauchbar. Ex negativo zeigt sich das daran, dass gerne dann auf Daten verwiesen wird, wenn auf dem Spielfeld gerade nichts passiert und man sich dann die Zeit nehmen kann, mal ein paar Statistiken zu berichten. Die Daten sind gewissermaßen Pausenclowns. Ein rundum quantifizierender Blick auf das Spiel, so scheint es, ist mit einer auf Spannung und Dramatik setzenden Berichterstattung nur schlecht verträglich.
Literatur
Meier-Vieracker, Simon (2020): Die Verdatung des Fußballs. Spuren von Algorithmen in der Fußballberichterstattung. In: Muttersprache 130 (4/2020), S. 304–318.
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