ein Gastbeitrag von Christian Schütte

Was hat Fußball mit nationaler Identität zu tun? Die gängige Antwort lautet: Wenn die Nationalmannschaft gewinnt, sind alle stolz auf ihr Land. Das mag stimmen, ist aber nur die eine Seite der Medaille, wie das Beispiel Österreich zeigt.

Was Deutschland sein „Wunder von Bern“, ist Österreich „Córdoba’78“, das 3:2 gegen den Weltmeister von 2014. Jenseits der Alpen nahezu vergessen, wird dieser Erfolg (der am Ausscheiden aus dem WM-Turnier nichts änderte) in Österreich noch 40 Jahre später mit einem Empfang beim Bundespräsidenten gefeiert.

In Österreich ist man anderes gewohnt: Niederlagen. So pflegt man mit Vorliebe negative nationale (Selbst-)Stereotype wie jenes phlegmatischer Schönspielerei. 2016 jedoch schien alles anders. Erstmals auf sportlichem Weg für eine Europameisterschaft qualifiziert, waren die Erwartungen hoch, die Gruppengegner Ungarn, Portugal und Island nicht furchteinflößend.

Ergebnisse einer Mediendiskursanalyse

Um dem genauer nachzugehen, wurden diskursanalytische Stichproben der österreichischen Presseberichterstattung zur EM 2016 sowie zu drei Länderspielen 2018 und 2019 untersucht. Dabei sticht besonders das Gratisblatt ÖSTERREICH durch unbefangenen Nationalismus hervor: Im Wochenschau-Stil wird über den Einzug der österreichischen „Schlachtenbummler“ (ÖSTERREICH, 23.6.16) in die Austragungsorte der EM in Frankreich mit einer Metaphorik berichtet, als wollten die Reisenden es ihren Großvätern gleichtun: „Unsere Fans konnten Paris im Sturm erobern.“ (ÖSTERREICH, 23.6.16). „Rot-Weiß-Rot regierte Bordeaux“ (ÖSTERREICH, 15.6.16).

Auch die KRONEN-ZEITUNG marschiert vor dem Turnier patriotisch voran, macht aber nach Misserfolgen sofort kehrt: Wurden nach der ersten Niederlage noch der Schiedsrichter und der „Fußballgott“ als Personifikation eines ungünstigen Schicksals verantwortlich gemacht, ist das Ausscheiden gegen Island („Fußball-Zwerg wie wir“, KRONEN-ZEITUNG, 24.6.16) Anlass, um Parallelen von der sportlichen Pleite zur Lage der Nation zu ziehen. Dort musste seinerzeit infolge „typisch österreichischer Schlampereien“ (KRONEN-ZEITUNG, 20.6.16) die Bundespräsidenten-Stichwahl wiederholt werden.

Nach dem Ausscheiden strebt man sogar auf dem Feld der Selbstbezichtigung nach Titeln: Die Österreicher seien „Europameister der Ausreden“ (KRONEN-ZEITUNG, 24.6.16) bzw. „Europameister im Raunzen und Sudern“ (Franzobel, KLEINE ZEITUNG, 18.6.16).

„Wenn es um nichts geht, ist Österreich hellwach“

2018 zeigt sich ein anderes Gesicht. Die Qualifikation zur WM in Russland war verpasst, Österreich blieben nur „freundschaftliche Länderspiele“. Das bedeutet im Sportdiskurs, dass die große Stunde für das Nationalteam schlug, denn: „Wenn es um nichts geht, ist Österreich hellwach.“ (Adrian/Schächtele 2008:112). Während Siege über ein Nachbarland wie Slowenien mit wohlwollender Gleichgültigkeit aufgenommen werden, bricht nach dem 2:1 in einem Testspiel gegen den „großen Nachbarn“ (KRONEN-ZEITUNG, 1.6.18) Deutschland Euphorie aus. Allgegenwärtig ist die biblische David-gegen-Goliath-Metapher, die Mannschaft sei gar ein neues „Wunder-Team“ (KRONEN-ZEITUNG, 1.6.18) wie jenes der Jahre 1933/34.

In den Boulevardzeitungen richtet sich der nationalistische Furor ungezügelt gegen den „großen Bruder“ (KRONEN-ZEITUNG, 3.6.18), so dass Córdoba-Torschütze Hans Krankl als Kolumnist sogar ein totgeglaubtes Feindbild wiederbeleben darf: „Dieser Sieg gegen Piefke tut richtig gut“ (ÖSTERREICH, 4.6.18).

Fazit: Das Nationalteam ist nicht per se Träger eines positiven Selbstbild eines Landes – vielmehr steht dieses immer auf dem Spiel. Denn der Fußball einer Nation bietet mit jedem Anpfiff aufs Neue die Gelegenheit zur „Blamage“ (ÖSTERREICH, 15.6.16). Sonst wäre er wohl auch langweilig.

Literatur

Stefan Adrian, Kai Schächtele: Immer wieder nimmer wieder. Vom Schicksal des österreichischen Fußballs. Köln 2008.

Über den Autor

Dr. Christian Schütte ist Sprachwissenschaftler an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Er forscht zu Text-, Diskurs- und Medienlinguistik und hat in seiner Dissertation über Ergebniserklärung in der Fußballberichterstattung u.a. den Mythos vom Bayerndusel trockengelegt.