Krisen und Katastrophen – im Gegensatz zur normalen Welt da draußen sind das im Fußball ganz normale, absolut erwartbare, ja geradezu alltägliche Ereignisse. Zumindest wenn man den Akteur*innen wie Spieler*innen, Trainer*innen und auch den berichtenden Journalist*innen glauben mag. Bekanntlich können schon zwei sieglose Spiele der Bayern ausreichen und schon stecken sie in einer handfesten Krise. Und ein frühes Gegentor kann auch dann eine Katastrophe sein, wenn man das Spiel noch erfolgreich drehen kann.
Im Fußball wird eben dramatisiert und überspitzt, so könnte man solche Redeweisen deuten, und da ist bestimmt auch etwas Wahres dran. Mit echten Krisen und Katastrophen, denken wir etwa an die Bankenkrise oder die Nuklearkatastrophe in Fukushima, scheinen die Krisen und Katastrophen im Fußball erst einmal nur wenig gemein zu haben. Allerdings wäre es zu kurz gegriffen, sie einfach nur als Miniaturausgaben echter Krisen und Katastrophen zu begreifen, die größer gemacht werden als sie tatsächlich sind. Plausibler ist es, von eigenständigen Konzeptualisierungen auszugehen, die tatsächlich für die Domäne Fußball charakteristisch sind. Argumente hierfür liefert mal wieder die Korpuslinguistik.
Krisen und Katastrophen – korpuslinguistisch
Für eine Studie zum Thema habe ich in den Pressekorpora innerhalb des Deutschen Referenzkorpus DeReKo nach Belegen für die Suchausdrücke Krise und Katastrophe mit der Themenannotation Sport: Fußball gesucht und Kollokationsanalysen vorgenommen (also Ausdrücke erhoben, die im direkten Umfeld der Suchausdrücke signifikant häufig sind). Dabei zeigt sich, dass das Reden über Krisen oft raummetaphorisch nach dem Motto ‚Krise ist unten‘ unterlegt ist, wenn es etwa heißt, dass ein Team immer tiefer in die Krise rutscht. Das ist zwar auch aus Diskursen über Wirtschaftskrisen bekannt, passt aber natürlich besonders gut zum Fußball, wo es im Reden über Tabellenpositionen ganz ähnlich Raummetaphern gibt, und beides kommt auch oft zusammen vor:
Duisburger Talfahrt: Der VfL Bochum stürzt den MSV mit dem 2:0-Auswärtssieg noch tiefer in die Krise.
Hannoversche Allgemeine, 10.11.07
Die Dresdner bleiben nach der vierten Niederlage hintereinander in der Krise und im Tabellenkeller stecken.
Braunschweiger Zeitung, 24.11.08
Andere typische Muster, welche die Forschung für das Reden über Wirtschaftskrisen aufgezeigt hat, wie etwa die Thematisierung der Auswirkungen von Krisen, kommen in der Fußballberichterstattung zwar auch vor, bezeichnen dann aber gerade nicht die gewöhnlichen ‚Ergebniskrisen‘, sondern eben die Wirtschaftskrisen, welche ja auch den Fußball erfassen können.
Krise trifft den Fußball. Die Wirtschaftskrise schlägt nun auch auf den italienischen Profifußball durch.
Hannoversche Allgemeine, 17.04.09
Krise ist, wenn man von Krise spricht
Besonders interessant ist aber, dass Wort, sprechen und einreden Kollokatoren von Krise sind. Dass Krisen eher ausgerufen als diagnostiziert, ja sogar buchstäblich herbeigeredet werden können, wird oft ausdrücklich thematisiert. Auch Wirtschaftskrisen sind zu einem gewissen Maße kommunikativ konstruiert, aber als Ergebnisse jahrelanger Konjunkturtrends müssen sie der Gesellschaft unter Umständen erst durch Expertenmeinungen und andere argumentativ aufwändige Verfahren bewusst gemacht werden. Im Fußball dagegen werden Krisen schon beim bloßen Anblick von Ergebnislisten, also viel unmittelbarer und geradezu performativ erzeugt. Krise ist, wenn man von Krise spricht – und das hört schlagartig auf, wenn mal wieder gewonnen wird.
Für Katastrophen zeigt sich die ganz klare Tendenz, dass dieser Ausdruck fast nur im Sinne von XY ist/war eine Katastrophe im Sinne von ‚war sehr schlecht‘ gebraucht wird. Insbesondere einzelne Halbzeiten, die Chancenauswertung, die Platzverhältnisse auch die Schiedsrichterleistungen können eine Katastrophe sein. Bezugnahmen mit bestimmtem Artikel sind (abgesehen von der Wendung war die reinste Katastrophe) dagegen nur selten zu finden (in 8% der Fälle um genau zu sein) und bezeichnen dann auch meist ‚echte‘, etwa Menschenleben fordernde Katastrophen wie etwa Massenpaniken in Stadien.
In anderen Fällen wird das Nichterreichen von selbstgesteckten Zielen als Katastrophe bezeichnet, etwa ein Ligaabstieg oder das Ausscheiden in Vorrunden von großen Turnieren. Interessant ist hierbei aber, dass sich vielfach Adverbialergänzen mit für finden, die weniger Betroffensein anzeigen, sondern markieren, dass es sich um subjektive Einschätzungen handelt:
Gegen die Deutschen setzt es ein bitteres 1:6. Eine Katastrophe für Österreichs Sportreporter, die an Nausch kein gutes Haar lassen.
Die Presse, 07.06.08
Auch die nachweisliche Rede von gefühlte Katastrophe zeigt, dass Katastrophe hier vor allem Wertungsausdrücke sind.
Spielerische Krisen und Katastrophen
Wenn also im Fußball von Krisen und Katastrophen die Rede ist, dann in einer schon sprachlich deutlich von außerfußballerischen Krisen und Katastrophen verschiedenen Weise. Und wenn doch mal außerfußballerische Krisen und Katastrophen gemeint sind, sind auch die sprachlichen Mittel entsprechend andere. Der Fußball ist eine Art symbolisches Spielfeld, in das eine Gesellschaft das hineinprojizieren kann, was sie umtreibt, um es hier spielerisch zu reinszenieren. Und dieser Übergang ins Spielerische – oder auch umgekehrt die Rückkehr ins Ernste – zeigt sich auch an daran, dass man jeweils anders darüber spricht.
Meier, Simon (2017): Krisen und Katastrophen in der Fußballberichterstattung aus korpusanalytischer Sicht. In: Cahiers d’études germaniques (73), S. 77–96.
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