Die Gesellschaft für deutsche Sprache hat „postfaktisch“ zum Wort des Jahres gewählt. Das Wort verweise darauf, „dass es heute zunehmend um Emotionen anstelle von Fakten geht“, dass nicht „der Anspruch auf Wahrheit, sondern das Aussprechen der ‚gefühlten Wahrheit'“ zum Erfolg führe.

Erfolg – das sei mal dahingestellt. Klar ist aber, dass gefühlte XYs sich auch im Fußball tummeln. Neben der auch in anderen Themenbereichen verbreiteten gefühlten Ewigkeit sind es hier neben gefühlten Distanzen (gefühlte 17 Meter über das Tor) vor allem gefühlte Spielstatistiken: Ballbesitzprozente, Ballkontakte, Abseitsstellungen usw. (alle Belege aus Bundesligalivetickern von kicker.de und weltfussball.de):

Bei gefühlten 90 % Ballbesitz der Dortmunder kommt es nicht zu dem hohen Tempo, das man sich als neutraler Fußballfan wünscht.

Die kicker-LIVE!-Daten weisen lediglich 57 Prozent Ballbesitz für die Fohlen aus. Gefühlt sind es weitaus mehr.

Gott ist das hier ein Einwurffestival! In den letzten drei, vier Minuten hatten wir gefühlte 20 Einwürfe. Ganz schwache Anfangsphase!

Der arme Ntibazonkiza findet heute gar nicht ins Spiel . Das war schon seine gefühlte zwanzigste Abseitsstellung …

Giorgios Tzavellas hat heute gefühlte 1000 Ballkontakte. Immer wieder segeln seine Flanken in den Mainzer Strafraum, direkt auf die Köpfe von Amanatidis, Gekas und wie sonst noch heißen.

Das hat fast schon einen subversiven Unterton, so als wolle man sich dem Diktat der vermeintlich objektiven Quantifizierungen nicht beugen.

 

gefuehlt

Geradezu rebellisch wird es, wenn man sich der letztgültigen fußballerischen Wahrheit, die bekanntlich auf dem Platz liegt, nicht fügen mag und sogar Sieg und Niederlage zu einer Sache des Gefühls macht:

Das 1:1 gegen die Hanseaten war nicht nur für FSV-Trainer Thomas Tuchel eine gefühlte Niederlage.

Während es für Gladbach ein gefühlter Sieg ist, spricht aus den Gesichtern der Bremer Profis die pure Enttäuschung.

Und schließlich dient das Gefühl als vorauseilende Rechtfertigungsstrategie, wenn etwa der Kölner Trainer Peter Stöger dem Vorwurf der Wettbewerbsverzerrung so begegnet:

„Wir werden mit den gefühlt bestmöglichen Formationen auflaufen – daran wird sich nichts ändern“ , so Stöger , “ ich habe nicht den Eindruck , dass irgendjemand bei uns im Urlaubsmodus ist […].“

Das mag man sich gerne vorstellen: Peter Stöger steht nach dem Abschlusstraining selbstversunken in seinem Trainerzimmer und streichtelt liebevoll seine Taktiktafel, auf dass das Gefühl ihm sage, welches die bestmögliche aller Formationen ist…