Phrasendicksaft, dreifach konzentriert


Dass es in der Fußballsprache von Phrasen nur so wimmelt, ist bekannt. Das gilt insbesondere für Spielberichte, wo die Phrasenhaftigkeit auch leicht erklärlich ist, schließlich müssen die Berichte schon kurz nach, am besten schon direkt zum Abpfiff geschrieben sein. Kein Wunder also, dass sich da allerhand Textroutinen einschleifen.

Gerade weil Spielberichte so stereotyp sind, eignen sie sich besonders gut für automatisierte Extraktion von Kollokationen. Phrasen Mining sozusagen. Kollokationen sind Wörter, die besonders häufig, genauer gesagt überzufällig häufig zusammen auftreten. Dabei nehmen die Wörter in genau dieser Kombination häufig eine andere oder zumindest spezifischere Bedeutung an als im freien Vorkommen und lassen sich auch nicht durch synonyme Ausdrücke ersetzen. So sagt man Abschied nehmen, aber Flucht ergreifen, obwohl man weder das eine noch das andere im wörtlichen Sinne nimmt oder ergreift.

Mit dem Ngram Statistics Package lassen sich solche Kollokationen vollautomatisch ermitteln, ohne dass man nach etwas bestimmtem suchen müsste. Das habe ich mit sämtlichen 3060 Bundesliga-Spielberichten der letzten zehn Spielzeiten von kicker.de ausprobiert und einen möglichst phrasendurchsetzten Durchschnittsspielbericht ausgerechnet.

Das Programm zählt in einem ersten Schritt alle Wortpaare, die so genannten Bigramme aus, die überhaupt vorkommen, wobei zwischen den Wörtern max. fünf andere Wörter stehen können. Das sind rund 2,6 Millionen verschiedene Wortpaare und rund 9 Millionen insgesamt.

In einem zweiten Schritt wird statistisch berechnet, wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich die Wortpaare sind. So ist in der zwar sehr häufig, was aber einfach daran liegt, dass in und der eben zu den häufigsten Wörtern überhaupt gehören und deshalb auch oft zusammen vorkommen. Interessanter sind dagegen Wortpaare, deren Bestandteile zwar für sich genommen selten, aber wenn dann zusammen vorkommen. Wenn etwa das sehr seltene Wort Tribut vorkommt, kommt es meist zusammen mit dem ebenfalls seltenen Wort zollen vor. Eine gewisse Häufigkeit (hier mindestens fünf mal vorkommend) bei maximaler Unwahrscheinlichkeit – das ist für den Computer das Maß für Phrasenhaftigkeit.

In der nach diesem Phrasenmaß geordneten Liste kommen naturgemäß viele Namen vor (ganz oben übrigens Karsten Heine, bei den Vereinen ist es St. Pauli). Der ganze Rest sind Ausdrücke, die man wohl als klassische Fußballphrasen bezeichnen muss. Zielsicher erkannt vom Computer, obwohl der ja kein Wort versteht von dem, was er da ausrechnet.

Unter den ersten 500 Wortpaaren der Liste sind 159 Nichtnamen und mithin Phrasenkandidaten wie Dach FachMessers Schneide oder Blut geleckt. Ich habe mir die Mühe gemacht, diese 159 Phrasen in einem einzigen Spielbericht zu verwursten. Herausgekommen ist ein pappsüßer, dreifach konzentrierter Phrasendicksaft. Das Schlimme daran: Von der Ausgangssubstanz unterscheidet er sich kaum. Man könnte ihn verdünnen, es reicht bestimmt für einen ganzen Spieltag, aber auch pur ist er noch genießbar.

In dem folgenden Spielbericht sind alle vom Computer erkannten Phrasen fett markiert. Die kursiv gesetzten Namen habe ich auch von der Liste genommen. Es sind also im technischen Sinne phrasenhafte Namen von (Ex-)Spielern, die so natürlich nie zusammen gespielt haben. Aber auf den Sound kommt es an…

Herber Dämpfer für Hertha BSC

Beim Auswärtspiel gegen Borussia Dortmund erlebten die Fans der Alten Dame ein Wechselbad der Gefühle. Daran hatte einmal mehr die eigene Abwehr maßgeblichen Anteil. Der BVB landet dagegen vor ausverkauftem Haus einen Big Point im Kampf um die Meisterschaft.

Zurück an alter Wirkungsstätte konnte Hertha-Trainer Pal Dardai nach überstandenem grippalen Infekt von Zwonimir Soldo personell aus dem Vollen schöpfen. Bei der Dortmundern war der in der Vorwoche so schmerzlich vermisste Luiz Gustavo rechtzeitig fit geworden und erhielt den Vorzug vor Renato Augusto, der trotz seinem lupenreinen Hattrick in der Vorwoche aus disziplinarischen Gründen auf der Bank bleiben musste.

Bei strahlendem Sonnenschein war für beide Teams zunächst taktische Disziplin oberstes Gebot. Dabei erwischte Mainz den besseren Start und bewies anfangs die reifere Spielanlage. Da die Hausherren zunächst mit angezogener Handbremse spielten, konnten sich die Mainzer ein leichtes optisches Übergewicht erspielen. Doch vor heimischer Kulisse hatten die Borussen ein engmaschiges Abwehrnetz aufgespannt und machten die Räume eng. Das Ergebnis war fußballerische Magerkost, die sich über weite Strecken in der neutralen Zone abspielte und jeden Versuch, in die hüben und drüben verwaisten Strafräume vorzudringen, im Keim erstickte. Vor allem das Passpiel ließ zu wünschen übrig und gute Aktionen waren beiderseits rar gesät.

Umso überraschender entwickelte sich mit zunehmender Spieldauer ein offener Schlagabtausch, so dass es im Strafraum der Gäste schon bald lichterloh brannte und Torhüter André Ter Stegen so manche brenzlige Situation überstehen musste. Dabei verharrte die Abwehr wie das Kaninchen vor der Schlange und ließ dem Gegner freie Bahn, so dass der in höchster Not hinauseilende Hertha-Keeper mehrmals Kopf und Kragen riskieren und sein ganzes Können aufbieten musste, um seine weiße Weste zu bewahren.

Das war natürlich Wasser auf die Mühlen der Gastgeber, die unter den Augen von Bundestrainer Joachim Löw mit den in allen Belangen unterlegenen Gästen nach allen Regeln der Kunst fortan Katz und Maus spielten und sich jede Menge Torchance erarbeiteten. Sie konnten daraus aber kein Kapital schlagen, denn gegen den glänzend reagierenden Ter Stegen, der sich zum standhaften Turm in der Schlacht entwickelt hatte, war kein Kraut gewachsen.

Doch Javi Martinez hatte jetzt Blut geleckt und erzielte aus heiterem Himmel den Führungstreffer für die Gastgeber, als eine Flanke von Hugo Almeida an Freund und Feind vorbei in den Strafraum segelte, wo der Borusse den Braten gerochen hatte und mit einem Schuss aus spitzem Winkel unter tosendem Applaus des Publikums den Keeper der Hertha kalt erwischte und beim Einschlag ins linke Eck ganz alt aussehen ließ.

Dortmund konnte jetzt befreit aufspielen und bemühte sich im weiteren Verlauf, den Sack zuzumachen. Doch die Freude währte nicht lange, denn die Gäste hatten die passende Antwort parat und konnten umgehend den Schalter umlegen, so dass sich die Schwarz-Gelben unter den wütenden Angriffen der Herthaner zusehends den Schneid abkaufen ließen. Kurz darauf die kalte Dusche für die Gastgeber, als Xabi Alonso sich selbst ein Ei ins Nest gelegt hatte und Rafa Lopez unbedrängt einschieben konnte. Aus dem zähen Ringen war längst ein munteres Spielchen geworden.

Nach einer halben Stunde wurde Felipe Santana zum tragischen Helden, als die Fans bei seinem Schuss aus kurzer Distanz schon den Torschrei auf den Lippen hatten, der Schiedsrichter aber dem Treffer nach Rücksprache mit dem Assistenten wegen Abseits die Anerkennung verweigerte. Kurz darauf überschlugen sich die Ereignisse, als Roberto Firmino im Strafraum zu Fall kam, aber die Pfeife stumm blieb. Nach 45 Minuten stand das Spiel auf des Messers Schneide, und wem der Luck Punch gelingen würde, war völlig offen.

Nach der Pause kamen beide Teams personell unverändert aus der Kabine, doch BVB-Trainer Jürgen Klopp hatte seinem Team offenbar die Messe gelesen und dabei die richtigen Worte gefunden, denn jetzt begann – nunmehr bei strömendem Regen – Dortmunds Sturm- und Drangphase. Als die Hertha einmal die Zügel schleifen ließ, nahm Van der Vaart mit einer artistischen Einlage das Heft des Handelns in die Hand. Sein mit dem Mute der Verzweiflung geschlagene Pass bereite dem in vorderster Front ausharrenden Sascha Sami ein freies Schussfeld, doch anstatt den Deckel drauf zu machen, brachte der das Kunststück fertig, sich doch noch die Butter vom Brot nehmen zu lassen, als er in letzter Sekunde den Ball ohne Einwirkung des Gegenspielers noch verstolperte.

Auf den Rängen kochten die Emotionen hoch und es ertönte ein gellendes Pfeifkonzert, als Juan Bernat mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch Tobias Welz von den Beinen holte, der daraufhin dem harten Spiel Tribut zollen und mit muskulären Problemen das Feld verlassen musste. Bernat hätte sich nicht beschweren dürfen, wenn er des Feldes verwiesen worden wäre.

Das Blatt wendete sich, als Dortmunds Trainer Jürgen Klopp bei der Einwechslung ein goldenes Händchen bewies und mit Ricardo Costa einen entscheidenden Pfeil aus dem Köcher zog, der als belebendes Element reichlich frischen Wind in die im wahrsten Sinne des Wortes festgefahrene Partie brachte und Zuckerpässe en masse spielte. Schon kurz darauf war der Bann gebrochen, als nach seiner Flanke Daniel Siebert, der die Lunte gerochen und offenbar reichlich Zielwasser getrunken hatte, Danke sagte und in erstaunlicher Duplizität der Ereignisse zur erneuten Führung traf.

Die Reaktionen der Gäste dagegen waren weder Fisch noch Fleisch, es fehlten die zündenden Ideen in der Offensive, die die Dortmunder Abwehr nie ernsthaft gefährden konnte, und auch im Spielaufbau blieb vieles Stückwerk. Zwar hatten sich die Hauptstädter mit vereinten Kräften noch einige Torchancen erarbeitet, doch Stürmer Lopez hatte wohl schon sein ganzes Pulver verschossen, was auch dem Rest des Teams den Wind aus den Segeln nahm.

Nach einer Stunde durfte sich auch Douglas Costa in die Torschützenliste eintragen, als nach vielen vergeblichen Anläufen endlich einmal die Rädchen ineinandergriffen und er unter gütiger Mithilfe der Berliner Abwehr in typischer Manier per Kopf einnetzte und den Sieg in trockene Tücher brachte. Spätestens jetzt war Herthas Plan, mit Zähnen und Klauen zu verteidigen, um wenigstens schiedlich friedlich auseinanderzugehen, über den Haufen geworfen und beide Mannschaften spielten jetzt mit offenem Visier. Die Gäste mühten sich sichtlich, noch eine Schippe draufzulegen. Stattdessen erteilte ihnen der BVB eine Lehrstunde in Sachen Konterfußball, und als de Camargo mit seinem K.O.-Schlag den Sieg unter Dach und Fach brachte, war der Widerstand gebrochen und endgültig die Würfel gefallen. Auf der Tribüne brachen alle Dämme, und die Dortmunder konnten den Rest der Partie ruhiger angehen lassen.

Am Ende hätte der Sieg noch höher ausfallen können; 18 zu 4 Torschüsse sprechen eine deutliche Sprache. Die Hertha steht mit leeren Händen da und kann die Hoffnungen auf das internationale Geschäft ad acta legen, denn für die Europa League war das schlicht und ergreifend zu wenig. Dortmund dagegen, ein Jahr zuvor noch Träger der roten Laterne, kann für die Champions League planen.

4 Kommentare

  1. Theo

    Zugegeben: bin kein großer Kicker-Leser, aber mir fällt auf, daß nicht eine Formulierung – zu wie auch immer gearteten persönlichen Umständen einzelner Protagonisten – a la „frisch verheiratet“, „jetzt auch Papa“, usw auftaucht. Auch nur 1x etwas zur Gesundheit (Grippaler Infekt). Oder ist das wirklich vorrangig den TV-Leuten vorbehalten, um daraus ihre soaps zu stricken und strecken?

    Im Übrigen begrüße ich diese Seite als äußerst löbliches Unterfangen.

    Der Hall Of Fame (Leute) stünde ein Hinweis auf das viele Jahre andauernde Schaffen der Herren Ror Wolf und Jürgen Roth gut an.

    • Simon Meier

      In Kicker-Spielberichten kommen solche Heirats- und Kindergeschichten zumindest nicht so gehäuft vor, dass sie dem Computer mit seinen strengen Algorithmen auffallen würden – allenfalls, dass sich ein Spieler „an seinem Geburtstag“ ein Geschenk macht. „Frischgebackene Väter“ gibt es natürlich, aber insgesamt zu selten.

  2. Rainer Winkler

    Hallo Simon
    ich denke, die Phrase „ohne Einwirkung des Gegenspielers“ hast du im falschen Kontext verwendet. Gewöhnlich „verletzt (!) sich ein Spieler ohne Einwirkung des Gegenspielers“.
    Gruß Rainer

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